dieser verdammte Krieg (50)
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Sibylle Berg führt heute das Kriegstagebuch der taz.

Unser kleines Glück

So ist das oft mit Gedanken. Sie kommen angezischt, für den Bruchteil einer Sekunde wird einem das Hirn hell, der Herzschlag beschleunigt sich, und genauso rasch schafft sich Eitelkeit Raum –ein großer Gedanke, denkt es in einem. Der wird mein Leben verändern und nie hat einer so einen schönen Gedanken gedacht, und über die Eitelkeit verschwindet der Gedanke, saust ins All, ohne dass man ihn am Schweif zu packen bekommt.

Ein paar Leute traf ich, die vermutlich nicht so quantitätsgeübt waren, die haben so einen Gedanken dann als Erleuchtung begriffen und sich von dem Tag an Guru geheißen. Ihre Sachen verschenkt, Jünger um sich geschart usw. Hut ab. Vielleicht sind die großen Führer (hm!) der Geschichte einfach nur Menschen, die zu wenige Gedanken hatten und sich den Ast abgefreut hatten, wenn einer sie mal heimsuchte. Vermutlich ist es aber anders.

Hunderte sagten mir: Mit diesem Krieg wird sich alles ändern, nie mehr werde ich unbefangen: schreiben, singen, tanzen, shoppen usw. können. Alle saßen in ihren Wohnungen, schauten die Wände an, als wäre es das erste Mal. Freuten sich, dass sie Wände hatten, dachten darüber nach, was ihre überflüssigen Künste beim Ausbruch eines Weltweiten Atomaren Krieges noch wert wären (weniger wie Null, mein Lieblingsspruch in einem Dominafachblatt: Unter meinem Stiefel bist du weniger wie Null) und überlegten, wie sie ihr Ego verlassen und die Welt retten würden, demnächst.

Aber seien wir ehrlich: Die Welt retten ist ein harter Job. Wo soll man da anfangen und außerdem ist jetzt Winter. Und wie geht das? Und über dem Denken und Innehalten ging die Zeit dahin und es wurde wieder wichtig, dass man Geld verdient und Dinge kauft und berühmt wird und in der Presse stattfindet und – inwischen haben wir alle wieder vergessen. Dass wir Gurus werden wollten. Wir bauen wieder an unserem kleinen Leben, an unserem kleinen Glück, das wir nie finden werden, und warum das so ist, könnt ihr euch ja selber überlegen. Es erkennen für eine Sekunde, und wieder vergessen.

MORGEN: Wiglaf Droste