The Birth of Cool

Der ganze Mythos der Vergeblichkeit: Mehr als 40 Jahre nach seiner Entstehung ist Stanley Kubricks Gangsterfilm „The Killing“ so frisch wie eh und je – ein tragisch tickendes Uhrwerk aus Westentaschengangstern, Familienvätern und wurmartigen Cops

von ANDREAS BUSCHE

Nach fast einem halben Jahrhundert hat Stanley Kubricks „The Killing“ nichts von seiner Rasanz und Schlüssigkeit verloren. Grund dafür ist natürlich auch, dass in den 50er-Jahren das Genre des Gangsterfilms bereits seine Bilder und Formeln gefunden hatte, in den nächsten 40 Jahren also kaum mehr Handlungsspielraum blieb, um das Regelwerk und die Konstellationen weiter zu verfeinern; das wiederum ist nicht zuletzt Kubrick zu verdanken und der atemlosen Präzision, mit der er in „The Killing“ die Gegenläufigkeit seiner dramaturgischen Stränge auf einen einzigen Kulminationspunkt hin zuspitzte. Danach war der Gangsterfilm lehrbuchmäßig in Form gebracht.

Wie durch die Offenlegung des Inneren einer komplizierten Apparatur hatte Kubrick die Funktionsweisen des Genres sichtbar gemacht und dabei den Film mit derselben Generalstabsmäßigkeit inszeniert, mit der Johnny Clay, frisch aus dem Gefängnis entlassen, und seine Leute ihren Überfall auf das Wettbüro einer Pferderennbahn durchführen. „The Killing“ wirkt vor allem deswegen auch heute noch so wenig überholt, weil er stilistische Elemente in das Genre einführte, mit denen man erst seit den 90ern im Kino wieder richtig vertraut ist: Die dokumentarische Strenge seiner Erzählhaltung (Kubrick setzte einen Voice-over-Erzähler in knappem Reportagestil ein) war 1956 noch ein interessanter Kunstgriff, und die Zersplitterung der Chronologie, das konzentrische Umzirkeln des Höhepunkts durch ständige Perspektiv- und Ortswechsel, machte den Filmemacher Kubrick mit einem Schlag zum gefeierten Auteur.

Natürlich haben Kubrick Genres nie wirklich interessiert, was umso paradoxer ist, da – vielleicht genau aus diesem Grund – jeder seiner Filme einer der besten des jeweiligen Genres geworden ist. Was den Misanthropen Kubrick viel mehr interessierte, war die Mechanik eines solch starren Gefüges wie eines Genres und die Dynamik der in ihm existierenden Konstellationen. Insofern hatte er mit „The Killing“ schon früh sein Meisterstück geschaffen. Kubrick warf das Genre des Gangsterfilms in einem radikalen Rationalisierungsprozess ganz auf sich selbst zurück, verzichtete auf seine überkommene Moralität und Melodramatik und trennte es von jeglichem emotionalem Ballast. The Birth of Cool! – allenfalls noch vergleichbar mit Allen Barons „Blast of Silence“ von 1961.

Die Fragmentierung der Zeitstruktur zeigt unmissverständlich, dass Kubrick nicht viel daran gelegen war, ein klassisches big caper movie zu erzählen. Es sind die persönlichen Motive und Aktionen der Westentaschengangster, die die Sprünge in der Chronologie der Ereignisse bestimmen. Kubrick folgt den Menschen, die nur ein einziges Mal zu einer Bande zusammenkommen; das Misslingen ihres Überfalls ist letztlich also ein Scheitern der Individuen, deren menschliche Schwächen die einzige Variable eines ansonsten perfekten Planes waren. Überfälle sind in „The Killing“ nur noch ein kleinbürgerliches Geschäft: Existenzielle Ängste treiben die Menschen ins Verbrechen, die Suche nach einem festen Platz in der Gesellschaft – und nicht der amerikanische Traum von grenzenloser Selbstverwirklichung. Kubricks Outlaws sind gescheiterte Existenzen, Familienväter und wurmartige Cops, denen nicht mehr viel bleibt als die Hoffnung auf ein kleines Geld. Vor diesem Hintergrund treibt Kubrick in der zweiten Hälfte des Films, nach einem (fast) reibungslosen Überfall, sein Spiel der inneren und äußeren Zersetzung voran.

Für die Rolle des Johnny Clay hatte Kubrick den „Kommunisten“ Sterling Hayden noch mal von den McCarthy-Ausschüssen weggeholt und ihm von Jim Thompson einige markige One-Liner in den Mund legen lassen. Clay scheint von allen Protagonisten der straighteste und daher am wenigsten durchlässige Charakter. Unvergesslich sein fassungsloses Gesicht, wenn sich am Ende sein ganzer schöner Plan buchstäblich in Luft auflöst. In dieser grandiosen Schlusssequenz zeigt sich in Haydens Mimik und Gestik der ganze Mythos der Vergeblichkeit des Gangsterfilms, den Kubrick so klar wie seitdem kaum jemand zum Vorschein gebracht hat.

„The Killing“. Regie: Stanley Kubrick. Mit: Sterling Hayden, Colleen Gray, Elisha Cook u. a. USA 1956, 85 Min.