Versunkenes Museum

Das Land Berlin hat ein Museum, das in der Stadt fast nicht zu sehen ist. Seit vier Jahren warten die Sammlungen der Berlinischen Galerie zur Kunst, Fotografie und Architektur eingelagert auf einen Neubau. Jetzt ist der Bauträger pleite

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Vorne zeigt die Broschüre einen Kopf des russischen Konstruktivisten Naum Gabo, auf der Rückseite warb der Investor, der den Bau der Berlinischen Galerie finanzieren wollte, mit einer Anzeige „Kunst und Leben am Kreuzberg“. Das Museum sollte das Zugpferd sein für die Aufwertung eines alten Brauereigeländes, auf dem Lofts, Penthäuser, Galerien und Restaurants entstehen sollen. 20.000 Hefte sollten in Berliner Galerien ausgelegt, an alle Abgeordneten und Unternehmensverbände verschickt werden. 5.000 Hefte waren gedruckt, dann stoppten die Maschinen. Die beiden Investoren der Viktoria Quartier Entwicklungsgesellschaft, Deutsche Grundbesitz und Viterra, hatten Anfang Oktober ein Insolvenzverfahren angemeldet. Der Bauträger ist pleite.

Zwischen Bauzäunen und tiefen Gruben steht auf dem Brauereiareal einsam ein Straßenschild, das an den Gründer des Museums erinnert: Eberhard-Roters-Platz. So abgestellt im Nirgendwo, wie das Schild anmutet, so paradox ist die Situation des Landesmuseums. Es ist nicht zu sehen. Zumindest nicht in Berlin, seit fast vier Jahren schon. Nach Frankreich, Spanien, Portugal, Ungarn und zuletzt nach Prag reisten zwar die Kunstwerke, die Berlin als Knotenpunkt der Avantgarde in den Zwanzigerjahren und als sehr spezielle Insel in der Zeit der Teilung der Stadt vorstellen. Aber in Berlin könnte man fast den Verdacht bekommen, dass die Stadt ihr Museum vergessen hat, bekam sie doch andernorts so wunderbare Geschenke wie die Sammlung Berggruen voller Picassos und Klees, mit internationalem Klang, und mit der Sammlung Marzona zuletzt auch noch wichtige Exponate der Concept- und Minimal-Art oder der Arte Povera. Zudem scheint die große Anstrengung, die Museumsinsel zu sanieren, alle Kräfte aufzuzehren.

Verglichen mit den Staatlichen Museen ist die Berlinische Galerie ein junges Haus, 1975 durch einen privaten Verein gegründet, nach einem Jahrzehnt schon erstaunlich gewachsen. 1986 zog sie mit ihren großen Sammlungen zu Dada und Expressionismus, zur russischen Avantgarde und neuer Sachlichkeit in den Martin-Gropius-Bau. Ihre Ausstellungen zeigten die scharfen Brüche durch den Nationalsozialismus und die Auseinandersetzungen zwischen Abstrakten und Realisten im Nachkriegsberlin. Zur Malerei der Jungen Wilden liefert sie eine lange Vorgeschichte, die deren Heftigkeit fast wie ein Mauersyndrom begründet. In ihren Archiven findet sich Material, warum gerade in dieser Stadt voll aufgegebener Industrie und abgeschnittener Viertel die Untersuchung des sozialen Kontextes der Kunst so aufregend werden konnte. Von vielen Gästen, die der DAAD in die Stadt schleuste und die von selbst kamen, hat sie Werke und zeigte als eine der letzten großen Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau 1996 die Retrospektive von Ed und Nancy Kienholz.

Doch seit das Museum 1998 aus dem Gropius-Bau als Mieter ausziehen musste, droht seine Geschichte zu einer Groteske zu werden. Der erste alternative Standort im Postfuhramt an der Oranienburger Straße in Mitte entpuppte sich als Luftblase, weil die Stadt über das Haus gar nicht verfügen konnte. Die Bestände wurden in einer ehemaligen Schultheiss-Brauerei zwischengelagert, da bot ein Investor dem Land an, die Brauereikeller zum Museum auszubauen im Tausch gegen ein Grundstück. Zwei Jahre vergingen im Streit über das Tauschgrundstück. Viermal wechselte in der Zeit der Berliner Kultursenator.

Als der Vertrag zwischen Investor und Stadt endlich unterschrieben war, begann der Direktor Jörn Merkert ein Konzept zu entwickeln, wie sich weitere Hallen über Sponsoren finanzieren ließen. Die Wiedereröffnung wurde für 2004 angekündigt. Im Oktober sollte der Bauantrag gestellt werden. Aber da war der Investor schon pleite, der das Wohnen und Arbeiten mit Museumsanschluss nicht so teuer verkauft bekam wie erwartet.

Plötzlich ist es nicht mehr allein die Politik, von der das Museum abhängt, sondern der Immobilienmarkt. „Da hatte ich nicht mal mehr einen Gegner, den ich vors Schienbein treten konnte“, sagt Jörn Merkert, „sondern muss jetzt warten, bis der Insolvenzverwalter neue Interessenten gefunden hat.“ Aus der einstigen Erfolgsgeschichte des Museums ist eine böse Parabel über die Fallgruben der Public-private-Partnership geworden.

So bleibt dem Museumsdirektor zurzeit nichts anderes übrig, als seine Hoffnungen auf gewagte Spekulationen zu gründen. Da gibt es eine Bürgschaft von 32 Millionen Mark, die die Deutsche Bank seinerzeit für den Vertrag zwischen dem Land Berlin und den Investoren übernommen hat. Von der könnte ein neuer Investor profitieren. Auch die bisher erbrachten Bau- und Planungsleistungen sieht er als Kapital. Selbst wenn der Wert des ganzen Projektes mit Wohnungen, Büros, Restaurants, Galerien und Museum sinkt, denkt der Direktor, werden die Konditionen für das Museum günstiger, weil dann auch die Grundstückspreise fallen. Zuletzt hatte der alte Investor 45 Millionen für die Räume haben wollen, die das Museum mit Sponsorengeldern als erweiterte Lösung anpeilt. Die gibt es jetzt womöglich billiger.

Alle diese Zahlen sprechen in Merkerts Augen dafür, am jetzigen Standort festzuhalten. „Alles ist wasserdicht geplant. Bei jedem neuen Standort wären dreieinhalb Jahre Arbeit in den Wind geschrieben.“ Mit jedem Jahr ohne eigenes Haus entgehen dem Museum rund 500.000 Mark Einnahmen und es muss für die Anmietung von Fremddepots eine halbe Million zahlen. Selbst unsichtbare Kunst kostet.

Trotzdem geht die Museumsarbeit hinter den Kulissen stets weiter. Drei Bücher sind bereits in diesem Jahr entstanden. Ein schönes Bilderbuch „Situation Berlin 1953–1960“ von Arno Fischer, einem der wichtigsten DDR-Fotografen, blendet zurück in eine Zeit zwischen Trümmern und Mauerbau, als jede Berliner Stadtbrache symbolisch aufgeladen war. Ein Band ist dem Maler Marwan gewidmet, der über Jahrzehnte seine expressive und gestische Malerei mit Porträts verbunden hat. Das dritte Buch würdigt das Bildhauerpaar Matschinky-Denninghoff, deren abstrakte Großformen auch den Berliner Stadtraum prägen.

In allen drei Fällen lösten die Bücher aber auch ein Versprechen ein – gegenüber einer Schenkung aus Künstler- oder Sammlerhand. Auf solche Tricks ist das Museum schon lange angewiesen. Denn inzwischen ist selbst der schmale Etat der Berliner Künstlerförderung, über den das Museum bislang Werke in Berliner Ateliers erwerben konnte, auf null zusammengestrichen.

Im nächsten Jahr wird die Berlinische Galerie zumindest ein Fenster endlich wieder öffnen können. „Zwischenspiele“ heißt ein Zyklus von fünf Ausstellungen zu Gast in der großen Halle einer Bank. Die Projekte versuchen, die Kompetenz des Museums als Vermittler zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit der Stadt wieder ins rechte Licht zu rücken. „Paarungen“ versucht ästhetische und inhaltliche Verbindungslinien zwischen Werken aufzuzeigen, die oft über vier, fünf Jahrzehnte auseinander liegen. „Fifty:Fifty“ greift 20 Bauvorhaben aus dem letzten Jahrzehnt auf und stellt realisierte neben ungebaute Projekte. So bietet das Museum sein gespeichertes Wissen der Stadt wieder an; denn die alten Kostüme der Metropole verraten oft viel über ihr Gewordensein und die Ursachen heutiger Konflikte.

Auf der Strecke zu bleiben aber droht das Verhältnis zur aktuellen Kunstszene. In den Achtzigerjahren hatte sich die Berlinische Galerie näher als jedes andere Museum an die Gegenwart der Kunstszene der Stadt herangearbeitet. Und auch Anfang der Neunziger wurde mit dem „Korrespondenzen“-Ausstellungsprojekt der kulturelle Austausch zwischen jungen Berliner Künstlern und entsprechenden Positionen in Glasgow, Chicago oder Florenz gesucht. Doch mittlerweile haben die einen das Museum, das seit vier Jahren ohne eigenes Haus laboriert, fast vergessen, andere sind erst nach seinem Abtauchen in die Stadt gekommen. Als öffentliches Forum von aktuellen Auseinandersetzungen spielt die Berlinische Galerie in der jetzigen Situation keine Rolle mehr.