Juhnke abjeschwappt

Bubi Scholz hat einmal seine Hand für ihn ins Feuer gelegt. Nun lebt Harald Juhnke in seiner eigenen Welt, auf einer Station für Demenzkranke. Westberlin hat einen seiner letzten „tough guys“ verloren

von DETLEF KUHLBRODT

Traurigkeit und Wehmut legt sich über den grauen Tag. Die mehr als 50-jährige Karriere von Harald Juhnke ist zu Ende. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist der 72-jährige Schauspieler und Entertainer, der wie kein anderer das alte Westberlin symbolisiert hatte, vor mehr als einer Woche in ein nahe bei Berlin liegendes Pflegeheim für Demenzkranke gebracht worden.

Juhnkes Ärzte aus Basel und Berlin hätten seiner Ehefrau Susanne zu diesem Schritt geraten. „Harald Juhnke ist organisch gesund, aber er lebt in seiner eigenen geistigen Welt. Die Familie muss diese Tragödie hilflos zur Kenntnis nehmen“, erklärte Juhnkes Manager Peter Wolf auf einer Pressekonferenz. Vier Sicherheitskräfte beschützen Harald Juhnke im Heim vor der Meute der Boulevardjournalisten, die in ihren zahllosen Aufmachern über die Exzesse und Abstürze des Entertainers in den vergangenen zehn Jahren unzählige Musterbeispiele an geldgeiler Schamlosigkeit geliefert hatten (Juhnke betrunken und nicht mehr Herr seiner selbst im Pyjama, Juhnke mit 18-jähriger Affäre usw.). Einmal nur hatte sich Juhnke gewehrt und einer Boulevardschnecke (Frauen übernahmen meist die Spitzelarbeit bei Juhnke) eine geklebt, was eine Klage zur Folge gehabt hatte. Egal.

Das Ende seiner Karriere war abzusehen, und doch trifft es einen sehr. Juhnke war mal die Stimme von Marlon Brando in „Die Faust im Nacken“ und wäre gerne wie Frank Sinatra gewesen, dessen „My Way“ er immer wieder gesungen hatte. War er natürlich nicht; dazu war er zu sehr Westberlin. Er war eher Mensch, aber eben doch: Klasse! „Harald, du bist so richtig ein Schauspieler wie früher, du bringst die Leute zum Lachen, und nachher weinen sie auch mit dir“, hatte Bernhard Minetti mal gesagt.

Als Kind hieß er Harry. „Erst dem Harald schmeckten dann andere Sachen umso mehr“, schreibt er in seinem Buch „Die Kunst, ein Mensch zu sein“.

Der erste größere Absturz kam am 25. Februar 1959: Da hatte er was getrunken gehabt. „Ein Bier hab ick getrunken, einen Schnaps, harmlos, janz harmlos . . .“, da war er „abgeschwappt“. Da gab's 'ne prima Verfolgungsjagd mit den Bullen. Als er gestellt wurde, rief er ihnen zu, sie würden ihre Quittung schon kriegen, wenn die Russen erstmal in Westberlin wären. Und er prügelte sich: sieben Monate Haft. Obgleich „Bubi“ Scholz seine Hand für ihn ins Feuer gelegt hatte: „Wir könnten doch nie jemanden hauen . . .“

Die Zigarre gehörte selbst bei vormittäglichen Pressekonferenzen zu Harald Juhnke und wurde früher stets durch ein Glas Whisky ergänzt. Theodor W. Adorno hebt in seiner „Minima Moralia“ diese beiden Accessoires des „tough guy“ hervor. Anders als beim Wein lässt bei „jedem Glas Whisky, jedem Zug an der Zigarre der Widerwille noch sich nachfühlen, den es den Organismus gekostet hat, auf so kräftige Reize anzusprechen, und das allein wird als die Lust registriert. Die He-Männer wären also . . . Masochisten.“ Ohne Zweifel war Juhnke ein „He-Mann“, der nicht wartet „bis man mich haut“, wie es auf einer seiner Platten heißt. Lieber hat er sich selber wehgetan. Am Ende jedes Engagements überfiel ihn immer die Melancholie, die Angst, die wohl nötig war, damit es weiterging.

Nun geht’s nicht mehr weiter. Die Berliner Schauspielerin Brigitte Mira war erschüttert: „Das ist doch sein Tod“, sagte die 91-Jährige. Vielleicht ist es auch gut so; wer weiß schon, wie es unserem Lieblingsentertainer geht. Mehr als eine Million Menschen in Deutschland sind nach Schätzungen von Fachleuten derzeit von der Hirnleistungsschwäche betroffen.