„Glück? Das wäre zu theoretisch“

Schuld und Reue sind „keine Begriffe“, sagt Exterrorist Christian Klar im ersten Interview nach 19 Haftjahren: „Vor der Trauer müsste sich viel ändern“

Günter Gaus: (...) Sie sind seit 19 Jahren inhaftiert. Bedeutet dies, dass Sie überwiegend ein Leben im Kopf, in der Vergangenheit führen?

Christian Klar: Es ist immer ein Bild gezeichnet worden, dass die Gefangenen mit dem Tag ihrer Verhaftung stehen bleiben. Meine Erfahrung ist ganz anders. (Es gibt bei mir) ganz normal die Auseinandersetzung mit der Entwicklung, besonders seit Anfang der 90er-Jahre, wo ja auch wir in den Gefängnissen Veränderungen verarbeiten mussten. Vielleicht ist der Nenner davon, wie seit Anfang der 90er-Jahre die Reaktion herrscht. Bomben auf Belgrad kommen auch im Knast an, ein Wirkungsloswerden der Subjektivität der Linken auch. (...)

(...) Können Sie die Normalität, die jetzt Ihre Realität ist, den Menschen, die Ihnen draußen nah sind, zum Beispiel Ihrer Mutter, erläutern?

Meistens nicht. Ich habe ein oder zweimal erlebt, wie Leute von draußen, obwohl sie selbst nicht gesessen haben, aus irgendeinem Grund die andere Chemie vom Knast kapierten. (...)

Der Schritt in die Gewalt, Herr Klar, war das für Sie ein bewusster Vorgang oder vollzog er sich eher unmerklich?

Nein, natürlich bewusst und vom Konzept her bestimmt. Die RAF hat ganz bewusst aus einer Minderheitenposition heraus gekämpft und das im Konzept auch so verarbeitet. Und der Gebrauch von Waffen ist die Entscheidung gewesen, von Anfang an in einem Kampf die Machtfrage mit einzuführen. In der deutschen Geschichte in den 20er-Jahren hat die Arbeiterbewegung gegen die verschiedenen reaktionären Vor-Putsche, die es damals gab, noch bewaffnet gekämpft. Die Nazizeit hat das alles ausgelöscht. (...)

Ich bin ein bisschen jünger als Ihr Vater gewesen ist. Die Waffengewalt in der Dritten Welt haben meine Freunde und ich immer verstanden. Aber wir haben empfunden, dass in Verhältnissen der Ersten Welt der Schritt in die Gewalt nicht gerechtfertigt ist. Haben Sie je überlegt: Wir verlieren einen Anhang, der wenigstens der Gesinnung nach Verständnis für uns hat?

Nein.

Haben Sie meinesgleichen verachtet?

(Lange Pause) Ich wüsste jetzt nicht, dass uns das begegnet ist. Der Bezug ist ja auf die Mächtigen und ihre Politik ausgerichtet gewesen und auf Bereiche in der Linken. (...) Ich wüsste jetzt nicht, wo ich Sie hintun sollte. (lächelt)

(...) Hat Ihnen der Stil in den Verlautbarungen der RAF nicht Entsetzen eingeflößt? (...) War Ihnen bewusst, dass Sie sich wegschrieben von der Verständlichkeit?

Es gab damals ja auch schon auf anderen Bereichen der Linken die Kritik an dem Abstrakten der Erklärungen. Ich finde es nicht so wichtig, eigentlich. Aber es wird auch etwas übersehen dabei. Ein politisches Konzept, das auf Befreiung aus ist, hat guten Grund, abstrakt zu sein, weil die konkrete Freiheit müssen die Menschen, die aufstehen, selber ausfüllen.

(Das Leben in der Illegalität,) war es Druck?

Nein. Ich habe Illegalität als Gebiet von großer Freiheit erlebt. Man muss es lernen, man muss vielleicht auch dafür ein bisschen was mitbringen. Aber für uns ist die Illegalität ein Raum gewesen, den man sich erobert. (...)

(...) Sie sind bisher ausdrücklich ausgenommen worden von der üblichen Entlassungsfrist. Hoffen Sie, dass sich daran etwas ändern wird?

Wir arbeiten ständig dran. Es sind fünf von uns, die noch sitzen: Eva Haule, Brigitte Mohnhaupt, Rolf Klemens Wagner und Birgit (Hogefeld) und ich. (...) Die Regierung behandelt es, dass da welche sitzen, opportunistisch. Es gibt keinen Grund, sich da zu bewegen, und das geht natürlich zu unseren Lasten.

Ist das Bewahren von Selbstachtung wichtiger fürs Überleben als eine Anpassung an Normen, (auch wenn) man damit vielleicht die, die über einen verfügen, gnädig stimmen kann?

(...) Ich denke nicht so sehr über Selbstachtung nach, sondern verantwortlich zu handeln. An erster Stelle kommt, dass ich verantwortlich dafür handeln will, dass die Ziele des Aufbruchs, den auch die RAF dargestellt hat, weitergetragen wird. (...) Die Vorstellung ist, dass auch eine Gruppe, wie die RAF, die irgendwann Geschichte geworden ist, durch Fehler und Anstöße Inspiration wird für neue Aufbrüche. Ich fühle mich verantwortlich, da nichts zu denunzieren. (...)

Schuldbewusstsein und Reuegefühle – sind das Vorgänge im Kopf, im Gemüt, von denen Sie sagen: Es geht euch nichts an?

Im politischen Raum, vor dem Hintergrund unseres Kampfes sind das keine Begriffe.

(...) Und wenn ich meine Frage ins Persönliche wende?

Ich überlasse der anderen Seite ihre Gefühle und respektiere die Gefühle. Aber ich mache sie mir nicht zu Eigen. Vor der Trauer müsste sich viel ändern. DOKUMENTATION: PATRIK SCHWARZ

Das Interview wird am 23. Dezember um 23.40 Uhr auf Sat.1 wiederholt.