Als hätte sich seit den Siebzigern nichts geändert

Christian Klar gibt sich unbeugsam und preist die Illegalität. Doch seine Augen sind tief versunken. Er spricht steif, verstockt und mit langen Pausen

In einem Wald bei Hamburg schlagen die Polizisten des Spezialkommandos am 16. November 1982 zu. Christian Klar, 1976 untergetaucht und als einer der gefährlichsten Terroristen gesucht, wird festgenommen. Er hat gerade versucht, ein von der RAF angelegtes Waffendepot zu leeren. Schwer bewaffnete Polizisten springen hinter den Bäumen hervor, Klar wirft sich zu Boden und ruft: „Nicht schießen!“ Seinen Colt lässt er stecken.

19 Jahre später fragt Günter Gaus den seit damals Inhaftierten, ob er bei seiner Verhaftung nicht auch ein wenig Erleichterung empfunden habe. Ist er sogar ein bisschen froh gewesen, dass der Kampf und das Leben im Untergrund endlich ein Ende hatten?

Nein, sagt Klar zu seinem Interviewer. In seinen großen, tief versunkenen Augen liegt Nervosität. Klar spricht steif und verstockt. Nein, was damals in den Medien stand und was Gaus jetzt zitiere, das war nur eine „Verhöhnung von jemandem, den sie lange gesucht haben“. Ein „Nachtreten“ gegen einen, den sie erst nach Jahren zu fassen kriegten. Die „Illegalität“, sagt Klar einem sichtlich konsternierten Günter Gaus, habe er „als Gebiet von großer Freiheit erlebt“. Als hätte sich seit den Siebzigerjahren nichts verändert, fährt er fort: „Der Gebrauch von Waffen ist Entscheidung gewesen von Anfang an.“

Das Interview, gestern Abend im brandenburgischen Fernsehen ausgestrahlt, ist das erste, das der frühere Terrorist zu geben bereit ist. Und das erste, das die Justizbehörden genehmigten. Bisher ist nur ein einziges Gespräch mit dem Gefangenen erschienen, 1997 im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Es waren aus dem Knast geschmuggelte schriftliche Antworten auf brieflich gestellte Fragen.

Fünfmal Lebenslang plus 15 Jahre Haft. Am 2. April 1985 wird Christian Klar, der zur zweiten Generation der Roten Armee Fraktion (RAF) gezählt wird, zu der bislang höchsten Strafe in einem Terrorismusverfahren verurteilt.

Der fünfte Senat des Stuttgarter Oberlandesgerichtes sieht es als erwiesen an, dass Klar gemeinsam mit dem RAF-Mitglied Brigitte Mohnhaupt „mittelbar oder unmittelbar“ an der Ermordung des damaligen Generalbundesanwaltes Siegfried Bubacks im April 1977, am Mord am Bankier Jürgen Ponto im Juli 1977 und an der Entführung und Erschießung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer beteiligt war.

Auch am Attentatsversuch auf den US-General Kroesen in Heidelberg im September 1981 soll Klar teilgenommen haben, Klar wird darüber hinaus für schuldig befunden, im Januar 1977 bei einem illegalen Grenzübertritt auf Schweizer Grenzbeamte geschossen zu haben.

19 Jahre Haft hinter sich, mindestens sieben noch vor sich. Vor dem Jahr 2008 kommt eine vorzeitige Haftentlassung für Klar nicht Frage. Das hat das Oberlandesgericht Stuttgart so festgeschrieben. „Können Sie noch Glück definieren?“, will Gaus wissen. „Das wäre zu theoretisch“, erhält er zur Antwort. Welche Hoffnung ihm noch bleibe, setzt Gaus ratlos hinterher. Klar: „Dass die Menschen sich nicht mit Unterdrückung und Demütigung abfinden.“

Immer wieder Sprechpausen, der Häftling in schlichtem T-Shirt und roten Jeans rutscht nervös auf seinem Stuhl hin und her. Gaus fragt den einstigen Kämpfer, ob er heute Reue oder Schuldgefühle verspüre. Schweigen. Dann sagt Klar stockend: „In dem politischen Raum, vor dem Hintergrund von unserem Kampf sind das keine Begriffe.“

WOLFGANG GAST