Das Subjekt in Zeiten des Internets

Die 3. Internationale Konferenz für Cyberfeminismus tagt im Lichtmeß-Kino  ■ Von Christian Rubinstein

Seit der documenta 1997 gibt es das Frauen-Netzwerk „Old Boys Network (OBN)“, benannt nach dem englischen Ausdruck für Seilschaft. Als offene Plattform für einen „anderen, neuen Feminismus“ sehen sich die darin zusammengeschlossenen Frauen. Nach der Gründungstagung auf der documenta fand 1999 eine zweite Konferenz in Rotterdam statt.

Bis Sonntag treffen sie sich nun im Lichtmeß-Kino zu ihrer dritten Konferenz unter dem Titel very cyberfeminist international. Vorträge und Diskussionen drehen sich um „new border concepts“, die Überschreitung und Auflösung von Grenzen zwischen verschiedenen Kategorien. Damit ist nicht nur die Geschlechtereinteilung Mann/Frau gemeint, sondern auch die Kategorien real/virtuell oder die Einteilung in Nationalitäten. An der Veranstaltung können alle Interessierten teilnehmen, auch Männer. Konferenzsprache ist Englisch, Anmeldung nicht erforderlich.

Das OBN ist eine offene Plattform. Die Initiatorinnen der Konferenz bekennen sich zu einer „Politik des Dissens“, was sich schon darin äußert, dass sie keine Definition von Cyberfeminismus geben wollen. Es geht um die Auswirkungen vernetzter digitaler Medien auf den Subjektbegriff und den Feminismus. Das Internet soll nicht nur pragmatisch für die Verbreitung feministischer Inhalte genutzt werden. Als Medium verwischt es auch die Spuren des Subjekts. Mit Hilfe der digitalen Kommunikationsmittel kann man andere Geschlechtsidentitäten ausprobieren. Im Chat-room ist man das, was man behauptet zu sein. Dieses Ausprobieren habe Folgen, meint OBN-Aktivistin Cornelia Sollfrank: „Zunächst spielt sich das im Imaginären ab, doch es hat Auswirkungen auf das eigene Rollenverständnis im realen Leben.“

Klare Thesen oder Forderungen hat OBN nicht. Die Aktionsformen sind eher auf Subversion ausgerichtet. Auf Veranstaltungen wie der Internationalen Frauen Universität im Sommer 2000 in Hannover traten sie auf und hatten das Gefühl, auf übersteigerte Erwartungen zu treffen. Sie vertreten aber nicht den Anspruch, die neuen Heilsbringerinnen des Feminismus zu sein. „Wir beziehen uns auf das Konzept von Veranstaltungen und hinterfragen die praktizierten Organisationsformen, die vorherbestimmen, was in diesem Rahmen gesagt werden oder passieren kann.“ Die Frage, ob sie für die Dekonstruktion zuständig seien und die Konstruktion anderen überlassen, kontern die Aktivistinnen mit dem Hinweis auf ihre Organisationserfolge: das Netzwerk und die eigenen Konferenzen.

Heute Nachmittag beginnen die Diskussionsveranstaltungen zu den „new border concepts“. Die Diskussion wurde von vier Frauen aus Russland, Nicaragua, Paraguay und Singapur vorbereitet. Allein diese Internationalität ist nur aufgrund moderner Kommunikationsmedien zu leisten.

Dennoch ist gerade der Nicht-Zugang der Mehrheit der Frauen dieser Welt zu elektronischen Medien ein Ausgangspunkt der Diskussion. Am Sonnabend wird dazu auch eine Vertreterin der afghanischen Frauenorganisation RAWA sprechen. Die Kommunikation mit der RAWA-Vertreterin war nicht einfach. Die Frauen von RAWA melden sich, um der Verfolgung zu entgehen, immer mit Decknamen, auch wechselnden. Kein Problem für die Frauen vom OBN „Das ist fast schon eine Cyberfeministische Strategie.“

Irina Aristharkova ist eine der Referentinnen des heutigen Nachmittags. In Moskau aufgewachsen, lebt sie zur Zeit in Singapur und lehrt an der dortigen Universität Cybertheorie und Cyber-Art. Sie ist sich bewusst, dass sich gerade bei digitaler Kommunikation die Missverständnisse vervielfachen: „Aber die Missverständnisse sind produktiv, wenn man sie nicht als Bedrohung begreift.“ Die Frage, ob sie Mitglied von OBN sei, beantwortet die Russin mit nein. Dafür bekommt sie Widerspruch seitens der Netzwerkerinnen: Sie gehöre schon dazu. Dissens im Detail.

Programm: www.obn.org

heute und morgen jeweils 10.30–14.30 und 15.30–19 Uhr, Lichtmeß