Neue Szenen aus dem Deutschen Theater

Kommende Woche erscheint das neue Buch des Autors BENJAMIN VON STUCKRAD-BARRE. Hier vorab zwei bisher unveröffentlichte Texte daraus

Vollpension

Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland hat man die Möglichkeit, Prominente bei der Ausübung ihrer meist zahlreichen, gesetzlich gestatteten Nebentätigkeiten zu kontrollieren, da es in den allermeisten Fällen Ziel und Inhalt dieser Geschäfte ist, das Publikumsinteresse am bekannten Namen in Kaufimpulse fürs egale Produkt zu transformieren.

Einerlei, ob als Kompensation unterstellter einseitiger Begabung oder Steuersparmodell entstanden – man kann eine Probefahrt mit dem Boris-Becker-Autohaus vereinbaren, sich eine Platte von Heiner Lauterbach oder Katja Riemann kaufen und diese (als Variante für die ganz Furchtlosen) sogar anhören, man kann ein von Udo Lindenberg selbst gemaltes Bild anschauen, in Ben Beckers Kneipe ein Bier trinken oder in Iris Berbens italienischem Restaurant zu Abend essen. Oder Verona- Feldbusch-Unterwäsche tragen oder die Talkshow eines Politikers ansehen. Und so weiter.

All diese Angebote zielen auf die Sehnsucht des Bürgers, die – das Begehren bedingende – Distanz zu mindern. Da sich Engagement und Präsenz der Namensgeber zumeist auf einige Foto- und Signiertermine beschränken, ist ihr Hauptberuf nur selten in Gefahr, und die Distanz bleibt erhalten.

Anders verhält es sich im Fall Hera Lind.

Im letzten Jahr verließ sie unter sorgfältig selbst geschürter öffentlicher Anteilnahme ihren Ehemann in Richtung eines pomadigen Schiffsoffiziers namens Engelbert Lainer, dessen größter Wunsch immer schon ein eigenes Hotel in den Bergen gewesen war. Mit dem Herzblatthubschrauber überquerten die beiden (ihren Interviews zufolge) von der Liebe vollends Verblödeten die Alpen und wurden alsbald fündig. Jetzt kann man sie im „Eichenhof“ im Chiemgau besuchen, um Lind bei der Ausübung dieser ihrer gesetzlich gestatteten Nebentätigkeit zu kontrollieren.

Als erstes tat das eine Kollegin der Neue-Revue-Autorin Jutta Ditfurth, nämlich die verwirrt wirkende Ex- oder Wiederehefrau von Klausjürgen Wussow. Sie setzte sich eine Perücke auf und recherchierte im Frühstücksraum, doch Engelbert Lainer konnte sie überführen, wie er stolz bei jeder Gelegenheit erzählt.

Patent überwacht Lainer den Alltagsbetrieb im „Eichenhof“, für jeden Gast hat er ein aufmunterndes Wort, für alle Fälle ein tragbares Telefon am Bund seiner Lederhose klemmen, sein Haar ist wie seine Rhetorik bestens geölt und als Gast wird man „Willkommen an Bord“ geheißen. Dazu muss man wissen, dass Lind und Lainer sich auf einem Kreuzfahrtschiff kennen gelernt haben und der dort entstandene Lind’sche, na ja, Roman „Mord an Bord“ heißt. Findet Hera Lind (dass man das wissen muss) – zumindest ist es bekannt. Das ist ein Käse, denkt man, eingedenk der Werbung für die unweit beheimatete Firma Bergader.

Einzelzimmerübernachtend zahlt man im „Eichenhof“ 141 Mark, inklusive Frühstück mit Liveschaltung in die Daily Soap „Big Mother“: Hera Lind spielt glückliche Familie, in weiteren Rollen die zwei ihr zugesprochenen Töchter von insgesamt vier Kindern aus der zugunsten (ja?) von Lainer aufgelösten Vorgängerfamilie, und Lainer selbst, der seine Rolle gut, ja zu gut spielt, den Hotelgästen einmal zu oft Prosecco anbietet, derweil Lind mitteilungsbedürftig durch die an den Vorführraum eines Baumarktes erinnernde Gaststube trompetet, dass sie sich („wir uns“, sagt sie natürlich) Alkohol inzwischen ganz abgewöhnt habe, was – wie alles andere auch – sehr gut funktioniere und so weiter. Nicht ganz so glückliche Echtpaare an den anderen Tischen schweigen eingeschüchtert, rühren in ihren Tassen und können es einfach nicht fassen.

Statt ins Honigbrötchen möchte der Hotelgast schon bald viel lieber in die Tischkante beißen, so penetrant lobpreist die Zauberfrau ihr neues Glück. Für ihre die Emanzipation in der Märchentheorie durchaus befürwortende Leserschaft mag es ein Genuss sein, Leben und Werk der Autorin so anschaulich amalgamieren zu sehen.

Um auch einmal kurz über Literatur zu sprechen: „Dass die Leute, wenn ich nicht gleich öffne, bösartig werden und die Fenster einschlagen“, beklagte sich der große Thomas Bernhard einst verwundert bis verbittert über neugierige Leser, die bis auf seinen Hof wallfuhren („Wie bei einer Giraffe, die kann man anschauen, die ist öffentlich zugänglich“), und vor denen er floh, um Ruhe, Leben und Werk zu schützen.

Ganz anders als Thomas Bernhard, dessen „Untergeher“ die deutsche Sprache das Wort „Verrammlungsfanatismus“ verdankt, hat Hera Lind (nicht dass irgendeine Vergleichbarkeit bestünde) sich im letzten Jahr verrammelt, ja sogar „verliebt“ (Lind), in den „hammerhart“ (Lind) daherkommenden, angeblich häufig mit „Bill Clinton“ (Lind) verwechselten Lainer, seines Zeichens – den liebesbegleitenden Interviews zufolge – Rammelfanatiker. Und auch ins Haus lässt sie jeden hinein, verkauft und signiert an der Rezeption ihr Oeuvre und erzählt ausdauernd und lautstark aus dem Leben einer so genannten Powerfrau, und selbst wenn sie ihre Töchter, sind sie nicht süß?, am Frühstückstisch wund streichelt, lobt sie auch damit wieder nur sich selbst – wie habe ich das nur wieder gemacht, zwei so süße Kinder, wo ich doch so viel um die Ohren habe? Und leider eben nicht ganz so viel dazwischen.

Des Weiteren erfahren die Hotelgäste ohne jedes vom normalen Menschenohr verschiedene Abhörgerät, ohne sich eine Perücke aufsetzen zu müssen und natürlich ohne zu fragen, dass Lind sich hervorragend eingelebt und sogar einen Chor gefunden habe, in einer kleinen Extrawohnung ganz herrlich zum Schreiben am neuen Buch käme (ob das wohl in einem ländlichen Hotel spielt?), dass ihr aus der Handtasche heraus das Portemonnaie mit allen Karten und 12.000 Mark drin in Freiburg auf dem Markt gestohlen wurde, dass sie die 12.000 Mark kurz zuvor in bar dafür bekommen hatte, kurzfristig für Harald Juhnke einzuspringen und ein Hörbuch aufzunehmen und dass der Spitzname „Engelbär“ für Lainer sich schon ziemlich herumgesprochen habe und sie mit ihm unbedingt „mal am Wochenende New York und London machen“ will und dass sie vor kurzem mit dem Nachtzug nach Köln gefahren ist, um mit der Lehrerin ihrer Söhne zu sprechen, was trotz Bahncard, die sie geschenkt bekommen hat, 800 Mark gekostet hat, und dass sie es sich nicht erklären könne, wie die Geschichte vom Freiburger Portemonnaieklau in die Zeitung geraten sei, was manche ihr als Promotionstrick ausgelegt hätten, was ziemlich bösartig sei.

Komm, mein Lieber, setz dich zu uns, du fehlst uns, hollondaised sie, und Engelbär tut, wie ihm geheißen und wuchtet seine hammerharte Ledertracht auf die Holzbank.

„Das Literaturische“ möge er nicht beurteilen, sagt der Kellner und bringt einen „Gruß aus der Küche“: pappiges Brot mit öliger Terrine, verziert mit einem müden Feldsalatstrunk. Dann kommt Lainer und fragt zum 100. Mal, ob alles in Ordnung sei. Ja, sagt man, und nimmt sich ganz fest vor, beim nächsten Mal zurückzufragen: „Und selbst?“

Einige Tage später lassen LindLainer den „Hoteltraum platzen“ (Bild). Herrje. Noch bevor das Idyll perfekt ward und „Hera Lind Joggingkurse geben“ konnte. Lind sah ihre „Privatsphäre und Sicherheit meiner Kinder nicht mehr gewährleistet“.

Die Arschlöcher von der Schweinepresse – nee, nee, nee. Aber echt.

Einzeltäter in der Lokalpresse

Das 14-jährige Mädchen habe am Montagabend auf dem Bahnhof der Kreisstadt zwei Beamten des Bundesgrenzschutzes den Hitlergruß gezeigt, teilte die Polizei gestern mit. Daraufhin vorläufig festgenommen, habe die Tatverdächtige in der Polizeidienststelle „Hitler“-Rufe sowie Parolen wie „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ geäußert. Eine Untersuchung habe einen Atemalkoholwert von 1,5 Promille ergeben.

Auf dem Funkmast war eine so genannte Reichskriegsflagge angebracht worden.

Der Ausländer war nach Polizeiangaben am späten Sonntagabend in einem Tunnel des Bahnhofs von fünf jungen Männern zusammengeschlagen worden.

Mutmaßliche Rechtsradikale haben ein Hakenkreuz auf die Dorfstraße gesprüht. Die Polizei veranlasste die Beseitigung der 1,60 mal 1,20 Meter großen Schmiererei.

Bislang unbekannte Täter haben am Wochenende mit silbergrauer Farbe ein Hakenkreuz auf der Gedenkstätte der jüdischen Synagoge gesprüht.

Nach der Misshandlung eines 24-jährigen indischen Asylbewerbers am Wochenende hat das Amtsgericht der Stadt gestern Haftbefehle gegen vier Tatverdächtige erlassen.

Der so genannte Hakenkreuzwald wird abgeholzt. Bei dem Hakenkreuz handelt es sich um 1944 angepflanzte gelbe Lärchen, die aus der Luft im grünen Nadelwald ein deutlich sichtbares Hakenkreuz bilden. Bereits in den nächsten Tagen sollen die Sägen angesetzt werden.

Die Jungen im Alter von 14 bis 16 Jahren warfen in dem Kindergarten etwa zehn Scheiben ein, wüteten in mehreren Spielräumen, zerstörten Schränke und entleerten zwei Feuerlöscher in den Zimmern und auf den Fluren. Zudem schmierten sie ein Hakenkreuz an eine Wand.

Ein Unbekannter hat gestern im Landtag ein Hakenkreuz in die Staubschicht einer Fahrstuhltür gezogen. Der Landtagspräsident äußerte sich betroffen.

Dem Angeklagten, der ein eintätowiertes Hakenkreuz auf dem Hinterkopf trägt, wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Er soll nach einem Streit einen 22-Jährigen aus der linken Szene vor ein vorbeifahrendes Taxi gestoßen haben.

In einem Park brüllten Jugendliche nach Polizeiangaben „Sieg Heil“. Die Beamten nahmen von den sieben zum Teil Betrunkenen die Personalien auf. Mehrere Musikkassetten und ein Rekorder wurden sichergestellt.

Durch ein Hakenkreuz aus brennenden Teelichtern ist eine ehemalige Gaststätte in Brand gesetzt worden. Wie die Polizei gestern mitteilte, waren Unbekannte gewaltsam in das Gebäude eingedrungen und hatten dort auf einem Holztisch das Nazi-Symbol aus den Kerzen zusammengestellt und danach entzündet. Durch die Hitzeentwicklung fing die Tischplatte Feuer.

Der angetrunkene 17-Jährige grölte „Deutschland den Deutschen. Neger raus aus Deutschland“ und hob die Hand zum Hitlergruß.

Unbekannte haben auf dem Sportplatz ein sechs mal acht Meter großes Hakenkreuz in den Schnee geschippt.

Nach Polizeiangaben hatten am Dienstagnachmittag Unbekannte den Briefkasten des Ausländerbeirats beschädigt.

Zum Ende der Betriebsferien hin hatte es erneut Nazi-Schmierereien an den zum Teil leer stehenden Unternehmensgebäuden gegeben. „Ich habe aufgegeben zu zählen, wie oft wir so etwas schon beseitigt haben“, gesteht der Firmenchef resigniert ein.

Der 16-Jährige wolle sich „an die Zeitung und somit an die Öffentlichkeit wenden, um sich zu entschuldigen“. „Ich wollte cool sein im Fernsehen und habe eine Menge Mist geredet“, sagte der Jugendliche. Er habe „kein Hakenkreuz im Kinderzimmer und dennoch viele Freunde“.

In den Giebel eines Einfamilienhauses hat ein Häuslebauer ein Hakenkreuz einmauern lassen. Das mit gelben Klinkern in eine rote Wand eingearbeitete Nazi-Symbol sei etwa 60 mal 60 Zentimeter groß. Es wurde erst sichtbar, als die Bäume im Herbst ihr Laub verloren.

Einer der Rädelsführer feixte sogar, nachdem er gerade zu einer zweijährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden war. Am schwarzen Kapuzenshirt des 21-Jährigen prangte der Schriftzug „Walhalla“.

Zwei für die geplante Demonstration zunächst benannte Ordner seien erst dieser Tage mit Recht und Gesetz in Konflikt geraten. Als die Polizei am vergangenen Wochenende eine „Skin-Feier“ auflöste, habe sie auch diese Personen erkennungsdienstlich erfasst, eine davon mit einem hakenkreuzbedruckten Pulli.

Die Unbekannten hätten weiße Heizungsfarbe über eine Gedenktafel gegossen, die an die ehemalige Synagoge erinnert, bestätigte die Polizei gestern.

Nach den jüngsten fremdenfeindlichen Übergriffen sollen jetzt rechte Schläger in der Linie 4 mit Videokameras abgeschreckt werden. Trotzdem soll die Linie 4 von April an nicht wie bisher bis Mitternacht verkehren.

Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr hatten das etwa eine Tonne schwere Monument mit eingemeißeltem Hakenkreuz aus dem Jahr 1933 vor ihrem Depot aufgestellt.

An vorherige Schmierereien in so geballter Form könne er sich nicht erinnern, sagte der Bürgermeister. Sicher habe es schon früher kleinere Fälle gegeben, wie mal ein Hakenkreuz am Baum oder kleinere Graffiti.

Ein 17 Jahre alter Jugendlicher schlug einen 19-jährigen Aussiedler mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Dabei sagte er laut Polizei: „Hier wird Deutsch gesprochen. Wir werden euch alle töten.“

Unbekannte hatten das Nazi-Symbol in der Nacht zum gestrigen Montag auf das Ortseingangsschild gemalt. Ein mit einem Hakenkreuz und rechten Parolen verunstalteter Wertstoffcontainer wurde gestern Morgen abgeholt und durch einen neuen ersetzt.

Ein 9-jähriger Junge hat am Wochenende mit einer kurz zuvor gestohlenen Farbsprühflasche ein Hakenkreuz an die Wand des Einkaufszentrums gesprüht. Wie die Polizei weiter mitteilte, konnte der Junge kein Motiv für seine Tat nennen.