„USA Hort universaler Freiheit“

■ Hannah-Arendt-Tagung in Oldenburg / „Kritische BegleiterInnen“ bemängeln antisemitische Tendenzen in westlichen Gesellschaften

„Ich verstehe, was die Amerikaner in Afghanistan verteidigen“, erklärte Zdislaw Krasnodebski. „Es ist dasselbe, für das ich 1981 in Polen gekämpft habe. Und ich war bereit, mich dafür von General Jaruzelski umbringen zu lassen.“ Krasnodebski lehrt politische Ideengeschichte im Studiengang Kulturgeschichte Osteuropas an der Universität Bremen und saß auf dem Abschlusspodium der internationalen Tagung „Totalitäre Herrschaft und republikanische Demokratie“.

Das Oldenburger Hannah-Arendt-Zentrum unter der Leitung von Prof. Antonia Grunenberg hatte letzte Woche anlässlich des 50. Erscheinungsjubiläums von Hannah Arendts Buch „The Origins of Totalitarianism“ an die Carl-von-Ossietzky-Universität geladen. Etwa 30 Zuhörer kamen. Mit auf dem Podium saßen der Publizist Wolfgang Heuer und der emeritierte Bremer Soziologe Zoltan Szankay. Zentrumsleiterin Grunenberg und Szankay gehören zur Jury desjenigen Vereins, der in Bremen den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken verleiht. Der Preis war dieses Jahr an den Philosophen Ernst Vollrath und den Euro-Grünen Daniel Cohn-Bendit gegangen (taz berichtete).

In einer Reihe von Vorträgen setzen sich ReferentInnen aus den USA und einigen europäischen Ländern aus unterschiedlicher Perspektive mit dem Werk Arendts, vor allem dem Buch von 1951, auseinander. Armin Söller (Berlin/Chemnitz) etwa verglich das so genannte „Totalitarismusbuch“ mit Werken anderer Exilanten über den Nationalsozialismus. Katja Tenenbaum (Rom) beleuchtete aus philosophischer Perspektive das Arendtsche Begriffspaar von Paria und Parvenu. Der Emporkömmling (Parvenu) verkörpere ein Modell jüdischer Assimilation, das die eigenen Wurzeln verleugne. „In nichthomogenisierender Universalität müssen viele Parias sich in ihrer jeweiligen Differenz und Individualität gegenseitig anerkennen“, sagte Tenenbaum. In der abschließenden Diskussion ging es weder um die Herrschaftsmechanismen des Nationalsozialismus noch um das Verhältnis von Individualität und Zugehörigkeit. Die Übertragung der Arendtschen Gedanken konzentrierte sich stark auf eine Rechtfertigung der aktuellen US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik.

„Die USA beruhen auf einem Gründungsakt freier Siedler“, sagte Publizist Heuer. „Die freiheitlichen westlichen Gesellschaften werden heute nun mal von den USA angeführt“, fügte Polonist Krasnodebski hinzu. Ein Zuhörer relativierte diese Sicht. „Die USA sind zwar nach innen republikanisch verfasst“, argumentierte er. „Nach außen jedoch treten sie auf wie ein monarchischer Souverän.“ Krasnodebski konterte: „Die USA haben ein anderes Verhältnis zur verteidigung der Freiheit. Die anderen westlichen Staaten agieren nur, wenn es um ihre jeweiligen Interessen geht.“

Bereits im Vorfeld verteilte eine Gruppe „kritischer BegleiterInnen“ ein Flugblatt, in dem sie die „Instrumentalisierung“ von Hannah Arendt für die aktuelle Politik der rot-grünen Regierung und eine „Entsorgung der deutschen Geschichte“ kritisierte. Die Gruppe „begleitet“ das Oldenburger Hannah-Arendt-Zentrum seit seiner Gründung und der Berufung von Leiterin Prof. Antonia Grunenberg. Ihre Mitglieder werfen Grunenberg vor, sich „mit ihrer Publikation 'Antifaschismus – ein deutscher Mythos' einen „guten Namen in der rechten und geschichtsrevisionistischen Szene gemacht“ zu haben. „Sie diskreditierte dort alle antifaschistischen Gruppen in der DDR und der BRD pauschal als antidemokratisch und tendenziell totalitär“, heißt es in dem Flugblatt.

Die „kritischen BegleiterInnen“ sehen in Berufung auf das Totalitarismusbuch Arendts auch in den westlichen Gesellschaften, nicht zuletzt in der Bundesrepublik, Ansätze totalitärer Herschaft. Das gelte vor allem für die rassistische Entrechtlichung von Flüchtlingen. Hannah Arendt habe selbst auf die schleichende Entsubjektivierung von Exilanten und Juden hingewiesen. „Das Oldenburger Hannah-Arendt-Institut aber“, sagte eine der kritischen BegleiterInnen, „steht in der antikommunistischen Tradition, den Totalitarismus-Gedanken Arendts vor allem auf den osteuropäischen Realsozialismus angewendet zu haben.“

Die kritischen BegleiterInnen, die bereits im letzten Jahr angesichts einer Arendt-Adorno-Tagung einen umfangreichen „Ergänzungsband“ vorgelegt hatten, planen 2002 ein eigenes Meeting zur Aktualität von Hannah Arendt.

Thomas Gebel