Der älteste Teenager der Welt

Vom „Funky Chicken“ zu „Walking the Dog“: Rufus Thomas war der Vater einer ganzen Reihe von animalischen Tanzhits der 50er. Zum Tode des Entertainers, der die Seele des Memphis Soul war

von JONATHAN FISCHER

Unter Plateaustiefeln und Leopardenshorts machte er es nicht. Selbst im greisen Alter von 80 Jahren noch verteidigte Rufus Thomas hartnäckig seinen Ruf als „funkiest man alive“ und legte in aufreizendem Fantasiekostüm die tiefschwarze Variante des Ententanzes, den „Funky Chicken“, auf die Bretter. Aber wer wollte den 1917 in Cayce, Mississippi, geborenen Entertainer allein an „Walking The Dog“, „The Funky Penguin“ und einem weiteren dutzend animalischen Tanzhits aus seiner Feder messen? Schließlich hatte sich Rufus Thomas ein halbes Jahrhundert lang nicht nur mehr oder minder komödiantisch durch alle Spielformen des schwarzen Musikbusiness von Blues über Rock ’n’ Roll bis Rap geschlagen: Er verkörperte wie kein Zweiter die Seele des Memphis Soul.

Bei den „Rabbit’s Foot Minstrels“, einer reisenden Vaudeville-Truppe, lernte Klein-Rufus in den 30er-Jahren sein Handwerk und amüsierte ein weißes Publikum unter der „Blackface“ genannten Rußmaske. Den oft anarchischen Subtext hinter den Darkie-Stereotypen allerdings konnten meist nur die Zuschauer der eigenen Hautfarbe entziffern: Signifying als Überlebensprinzip. Rufus Thomas jedenfalls sollte das Schwarz-Weiß-Drama sein Leben lang nicht loslassen. In den 40er-Jahren trat er in den Nachtclubs von Memphis auf, entdeckte als Moderator lokaler Talentwettbewerbe B. B. King oder Little Junier Parker.

1953 stürmte „Bear Cat“, Rufus Thomas’ Antwort auf Big Mama Thorntons „Hound Dog“ die R-’n’-B-Charts. Es war der entscheidende Kick für Sam Phillips’ Sun-Label: Phillips träumte davon, eine Million Dollar zu machen, wenn er nur den „weißen Jungen fände, der singen konnte wie ein Schwarzer“. Elvis kam und Rufus musste gehen. Stax Records, eine weitere weiße Plattenfirma, profitierte davon. Im Duett mit Tochter Carla bescherte Thomas dem legendären Imprint die erste Erfolgssingle: „Cause I Love You“. Bis 1963 noch arbeitete der Soulsänger tagsüber für 57 Cent die Stunde in einer Textilfabrik. Dann wurde „Walking The Dog“ ein Hit – und Thomas bekam für einen einzigen Auftritt so viel Geld, wie er in der Fabrik im ganzen Monat verdiente.

Die politische Radikalisierung in den 60er-Jahren aber ließ Rufus Thomas außen vor: Der Mann, der sich immer darüber erregen konnte, welche „Popscheiße“ weiße Imitatoren wie Chubby Checker aus ursprünglich schwarzen Tänzen wie dem Twist machten, galt den neuen schwarzen Stax-Managern als peinlich. Wer wollte in den Zeiten der Bürgerrechtskämpfe einen augenrollenden und dämlich grinsenden Clown auf der Bühne sehen? Der selbst ernannte „älteste Teenager der Welt“ allerdings kämpfte hinter den Kulissen unermüdlich für die Erhaltung des schwarzen Erbes seiner Heimatstadt. Während Elvis’ Rasenmäher heute im Museeum stehen, muss Rufus Thomas wohl noch ein Weilchen warten, bis die Touristen auch seinen Namen auf einer Gedenktafel lesen: „Schwarze müssen in der Regel zwei- bis dreimal so gut sein wie Weiße, um akzeptiert zu werden. Nur im Studio gibt es keinen Unterschied: Da zählt allein, was du drauf hast. Und einer lernt vom anderen.“ Am Sonntag hat Rufus Thomas im Alter von 84 Jahren zum letzten Mal getanzt – die Funky Chicken wackeln jetzt wohl mit Engelsflügeln.