„Hallo, Mama“

Immer wieder wurde Andreas Merkel gefragt, warum er denn nicht auch so erfolgreiche Bücher schreibe wie Florian Illies. Um dem Phänomen auf den Grund zu gehen, greift unser Autor zu einem ungewöhnlichen Mittel: Er interviewt seine Mutter

Interview ANDREAS MERKEL

Champions League. Vor dem Fernseher bei Joe – einerseits Fan von Bayer Leverkusen (!), andererseits einziger Besitzer eines Premiere-Decoders im Bekanntenkreis – hat sich die übliche, des Lesens eher unverdächtige Runde eingefunden. Zwischen zwei Einwürfen im Mittelfeld geht aus der Tiefe des Raums die Frage an mich, den Typen, der „ja auch schreibt“: Ob ich eigentlich diesen „Illié“ kenne?

Egal, mit wem ich derzeit spreche, Florian Illies (gesprochen übrigens wie geschrieben), Jahrgang 1971, Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Berlin und Autor der Erfolgsbücher „Generation Golf“ und „Anleitungen zum Unschuldigsein“, war schon da. Meine Freundin rügt mich dafür, dass ich sage, Illies würde sich bei Fernsehinterviews ganz gut „verkaufen“. Meine Mutter fragt mich, warum ich nicht auch mal so was schreibe, und meine Agentin findet, dass das eigentlich eine gute Frage ist. Höchste Zeit, einmal nachzuhaken. Aus gegebenem Anlass also ein Interview zwischen den Generationen mit: meiner Mutter, Jahrgang 1950.

taz: Hallo, Mama. Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass wir jetzt das Interview über Florian Illies machen.

Meine Mutter: Ja. Aber wäre es nicht besser, wenn du dich mit dem persönlich treffen könntest? Wäre das nicht ein guter Kontakt für dich?

Weiß ich nicht. Es soll ja eher um ihn als Phänomen gehen. Was hinter dem Erfolg steht, den er mit seinen Büchern hat. Ich weiß nicht, ob Illies offen für ein Gespräch darüber wäre, dass ihm das alles möglicherweise über den Kopf gewachsen ist. Bist du also damit einverstanden, dass ich stattdessen mit dir rede?

In Ordnung. Wenn ich namentlich nicht erwähnt werde.

„Generation Golf“ hast du gelesen. Ich auch. Die „Anleitungen zum Unschuldigsein“ haben wir beide nicht gelesen. Gut so, macht nichts. Dafür habe ich dir ja zwei Kapitel aus diesem Buch geschickt, die vorab im Spiegel und in der Wochenendbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen sind. In dem einen geht es um das deutsche Schuldbewusstsein, im anderen um einen freien Tag zu Hause.

(professionell): Das ist natürlich blöd gelaufen für Illies, dass die Texte genau nach dem 11. September erschienen sind. Der im Spiegel war ja sogar in der Sonderausgabe zum Anschlag. Da hatte natürlich niemand einen Nerv, das zu lesen. Da haben sich bestimmt viele gefragt: Mein Gott, hat der keine anderen Sorgen? Ich fand die Texte aber auch so reichlich banal.

Na ja, er hat schon eine klare Absicht. Er will, dass die Deutschen wieder „unbefangener“ auf die eigene Geschichte zurückblicken. Darüber schreibt er auch dauernd in der FAZ, erst neulich wieder, zur Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie in Berlin. Und das finde ich ganz gut: Gegen dieses ganze instrumentalisierte Schuldbewusstsein in Deutschland anzuschreiben, sich gegen diesen deutschen Größenwahn ex negativo zu behaupten.

Ja.

Aber dann ist es natürlich trotzdem einfach zu billig, sich als Deutscher über Deutsche aufzuregen, die sich im Urlaub über Deutsche aufregen. Denn die eigene Identität, da kommt man nicht so einfach und sauber raus. Es reicht nicht, wenn man bloß sagt: So, und jetzt sind wir aber wieder wie alle anderen, jetzt sind wir wieder normal – und nicht mehr so deutsch.

Andreas, das kann ich nicht beurteilen. Ich bin ja auch nicht das Maß aller Dinge. Den Text im Spiegel fand ich einfach bloß schlecht – auch nicht witzig oder so. Da merkte man, dass er das einfach so runtergeschrieben hat, weil er wusste, er muss was nachliefern, weil „Generation Golf“ so gut gelaufen ist. Und dann verkauft sich dieses neue Buch trotzdem noch viel besser. Die Leute merken das erst hinterher, dass es schlechter ist. Das ist wie bei einem Markenartikel. Erst mal kaufen sie es, weil es neu ist. Das geht automatisch. Darum geht es ja auch in „Generation Golf“.

Du hast Recht. Wir sollten lieber über „Generation Golf“ reden. Das ist sicherlich das Buch, das diese ganze Erfolgsgeschichte von Florian Illies erst begründet hat.

Wir haben das letztes Jahr sogar beim Literaturtisch im Frauenring durchgenommen. Da wurde es ganz positiv vorgestellt. Allerdings hatten es die wenigsten gelesen.

Wie hast du es gefunden? Hast du es aus eigenem Interesse gelesen? Oder eher wegen uns, wegen deiner Kinder? Hast du uns darin wiedererkannt?

Natürlich erkennt man auch sich selbst darin wieder. Wir sind ja ein Teil dieser Wohlstandsgesellschaft, die nach dem Krieg kam. Ich finde es dann aber schon ärgerlich, dass wir – also meine Generation – in dem Buch so dargestellt werden, als wären wir die gewesen, die noch „richtige“ Werte gehabt hätten. Als ob wir noch diese klaren Moralvorstellungen gehabt hätten, mit denen man sich wie an einem roten Faden durchs Leben bewegt. Das klingt im Nachhinein so geradlinig und traurig. Als hätte man nicht einmal zur Seite geguckt. Ich weiß nicht, ob wir wirklich so gewesen sind. Und ihr? Ihr wart auch ganz anders. Ihr habt dieses ganze Markending zum Beispiel ja auch abgelehnt.

Na ja, wir waren schon scharf auf die neuen Adidas-Schuhe. Aber was mich an „Generation Golf“ so nervt, ist, dass es sich liest wie die Memoiren eines Poppers. Man kommt sich vor wie auf einem Klassentreffen, und es sind nur die Leute gekommen, die früher in der Jungen Union waren und heute Jura studieren. Ich finde, er beschreibt auch weniger eine Generation als vielmehr eine Zielgruppe – die allerdings so genau, dass Harald Schmidt eigentlich Angst bekommen müsste. Und dann auch noch diese ganzen Werbewitze! Das ganze Buch besteht doch nur aus Assoziationen. Wobei es natürlich schon eine bemerkenswerte Leistung ist, sich heute tatsächlich noch an so etwas wie diese medi & zini -Poster erinnern zu können.

(seufzt): Ja, die hattest du früher auch im Zimmer hängen. Das große Löwenposter.

Aber dann denke ich: Es stimmt doch alles nicht. Dass Typen früher durch die Straßen geradelt sind und laut „Dreams are my reality“ gesungen haben. Dafür hätte es nur aufs Maul gegeben.

Andreas! Das willst du doch jetzt nicht alles so schreiben, oder? Ich fand das Buch nicht so schlecht. Es hat mich auch traurig gemacht. Zum Beispiel diese Leere, die er beschreibt, wenn man bei Ikea einkaufen gewesen ist. Das ist schon gut beschrieben. Das sind die Stellen, an denen irgendwie auch das Unbehagen an dieser Generation und ihrem Konsumverhalten durchkommt.

Klar, aber das ist alles so halbkritisch. Darüber lässt sich einfach so locker hinweglesen und es tut niemandem wirklich weh. Und dann tut er so, als würde er seinen Lesern jetzt endlich mal die Generalabsolution zur vollkommenen Gedankenlosigkeit erteilen. Als ob deswegen heute noch irgendjemand ein schlechtes Gewissen hätte! „Generation Golf“ ist doch ein Buch, das man liest, um nicht mehr lesen zu müssen!

Ich weiß nicht, ob man das so ernst nehmen sollte. (Gut vorbereitet:) Und das steht ja auch schon in dem Zeitungsartikel aus der Süddeutschen über Illies, den du mir noch mitgeschickt hast. Von diesem Gustav Seibt.

Und dann kommst du und meinst, ich müsste auch mal so was schreiben!

Na, ich hab da eigentlich eher die Verkaufszahlen gemeint! (Nachdenklich:) Aber das ist schwierig. Es gibt da so einen Spruch: Die Menschen lieben den, der ihnen das Gefühl gibt, sie würden nachdenken. Und sie hassen den, der sie wirklich zum Nachdenken bringt. Aber ich habe vergessen, von wem das ist.

Andreas Merkel, Jahrgang 1970, ist Autor das Buches „Große Ferien“. Er lebt in Berlin. Im Februar 2002 wird sein neuer Roman „Das perfekte Ende“ erscheinen.