Gerechtigkeit statt Gameboy!
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Die Festtage machen ja immer ein bisschen betroffen. Aber in diesem Jahr sind wir alle noch ein bisschen betroffener als sonst, und die Freude am bösen kommerziellen Geschenkerausch will sich nicht so recht einstellen. Allgemeine Unsicherheit greift um sich: Noch nie standen Werte wie Glauben, Liebe, Hoffnung so hoch im Kurs wie heute. Übermorgen könnten sie sogar schon unterm Weihnachtsbaum liegen. Der ideelle Wert als Geschenk sticht deutlich aus den Geschenktippkolumnen hervor.

Die Frohe Botschaft kommt aus dem Süden. Noch dazu aus einem Land, das sich zuletzt mit eher unerfreulichen Nachrichten hervorgetan hat. Österreich rät: Schenken Sie Sicherheit. Wer auf den ARBÖ hört – die österreichische Version des ADAC –, schenkt seinen Lieben Sicherheit auf den Straßen: vulgo Schneeketten; oder Sicherheit im Auto: einen Kindersitz; oder Sicherheit für den Fahrer: eine Freisprecheinrichtung.

Ganz in diesem Sinne preist der Deggendorfer Stadtbrandinspektor Alois Schraufstetter in der Passauer Neuen Presse Rauchmelder als eine preisgünstige (ab fünfzig Mark) wie sinnvolle Geschenkidee. Wem die Sicherheit noch lieber und teurer ist, den lockt der Feuerlöscher ab 195 Mark. Ein gutes Anschlussgeschenk auch für die Silvesterparty, falls eine Deggendorfer Scheune einem fehlgeleiteten Knaller zum Opfer fällt.

So explizit wie unsere österreichischen Nachbarn und unsere bayerischen Mitbürger sagen es allerdings nur wenige. Meist gehen die Kollegen verdeckter vor. Die Onlineversion der Süddeutschen Zeitung empfiehlt einen Minilügendetektor für 159 Mark. Was sich dahinter verbirgt, ist deutlich: die Wahrheit. Die findige SZ-Journalistin gibt aber gleich auch selbst zu, dass dieses Präsent noch ganz andere ideelle Umstände stiften könnte. Nämlich Unfrieden, wenn man auf die Frage, wie einem der rosa Angoraschlüpfer gefalle, mit einem „Prima“ antwortet, auf dem Display aber ein extrem angefressener Apfel – das Symbol für Lüge – erscheint. (Netter Versuch, liebe sueddeutsche.de, aber Wahrheitexperte bleibt die taz.)

Wem Wahrheit zu brisant ist, der kann nach Tipp von SZ online Treue schenken. Die wird naturgemäß ein bisschen teurer – 3.403 Mark –, ist aber dafür umso netter umgesetzt. Ein kleiner Computerwauwau von Sony, der auf den Namen AIBO – ERS 210 hört und bereit ist, Freud und Leid mit seinem Besitzer zu teilen. Allerdings ist auch bei diesem Spielzeug Vorsicht geboten, denn AIBO kann nicht nur elektronische Freude, sondern auch ebensolchen Ärger und Abneigung ausdrücken. Was, wenn er den Beschenkten gar nicht riechen kann? Dann kann der Beschenkte ihn zwischen den Jahren vielleicht gegen ein traditionelles Steiff-Tier tauschen, denn Steiff steht laut Katalog für Freundschaft und Geborgenheit.

Vorausschauend ist es, gleich mehrere Optionen für den geglückten Zweierkontakt zu schenken. Aber da ein ganzes Rudel an Hundchen doch etwas teuer wird, kann man statt Treue auch einfach Liebe schenken – passt ja zu Weihnachten. Beziehungsweise, wie von der Zeit beworben, einen Geschenkgutschein für die Onlinepartneragentur Parship, wahlweise für 79 oder 199 Mark (hier inklusive Gutachten) – je nachdem wie viel man wirklich in den Betreffenden investieren muss. Ein seltener Fall übrigens, bei dem das teurere Geschenk und nicht die Billigvariante Unmut auslösen könnte. Zweihundert Mark Investition erwecken leicht den Anschein, man halte den Beglückten für schwer vermittelbar.

Aber nicht alle ideellen Werte werden so schön von den bemühten Kollegen von der Presse beworben. Viele müssen auch auf sich selbst aufmerksam machen. So der Berliner Jugendserver www.spinnenwerk.de. Hier kann man für vierzig Mark Identität schenken. Liebe Kinder, Nichten oder Enkel werden mit einer eigenen Homepage beglückt. Unter dem Stichwort peinliche Anekdoten könnte der Schenker beispielsweise festhalten, wie sexy Vanessa als Vierjährige immer vor Wut auf den Teppich gepinkelt hat, damit der zukünftige Arbeitgeber auch sofort darüber informiert ist, wie sich die Bewerberin Konfliktmanagement vorstellt. Potenzielle Langzeitpartner könnten mit Nackt-im-Planschbecken-Fotos von Klein-Rudi in die Flucht geschlagen werden.

Ein schönes Geschenk ist auch Gerechtigkeit, die hinter dem Ölsprüher der Firma Fackelmann steht. Mithilfe dieser praktischen Spraydose kann der Salatanmacher in Zukunft das Oliven- oder Rosmarinöl ganz gerecht auf die Speise verteilen, und jede Tomate wird gleichmäßig eingeölt. Wie die Werbung verrät, liegt der „Straßenpreis“ des Geräts derzeit um die zehn Mark.

Der kurze Ausflug durch die Welt der Geschenktipps hat es deutlich gemacht: Allüberall locken gegenständlich gewordene hehre Ideale in den Regalen. Schuld daran ist der Terror. Unsere Grundwerte sind in diesem Jahr stärker in Frage gestellt worden als jemals zuvor. Lassen wir uns das eine Lehre sein. Halten wir auch im Angesicht des Lichterscheins die Augen offen und stehen wir zu den Fundamenten der abendländischen Kultur. Schenken wir Brüderlichkeit, Gleichheit, Ehre und Vertrauen.

Doch das allerschönste Geschenk ist in den Kolumnen der Weihnachtszeit nicht enthalten. Einer der höchsten Werte fehlt bislang. Unser Tipp: Lassen Sie das Adventskaffeetrinken mit Tante Ursula sausen und schenken Sie sich selbst und ihr die Freiheit! JUDITH LUIG