Der biedere Berserker

Regisseur Dieter Wedel wühlt für viel Geld in der Hamburger Kommunalpolitik und weiß: Die Gebührenzahler sind auch Steuerzahler („Die Affäre Semmeling“, 20.15 Uhr, ZDF)

An prominenten Vorbildern mangelt es in Wedels Spektakel wirklich nicht

von CHRISTIAN BUSS

Jedes Land hat den Starregisseur, den es verdient. In Deutschland herrscht seit geraumer Zeit Dieter Wedel mit absolutistischer Macht über die Produktion seiner immer ausladenderen Fernsehmehrteiler. Wedel wird geliebt und gehasst, vor allem aber gefürchtet; so einem mag sich niemand mehr in den Weg stellen. Deshalb durfte die Herstellung seines jüngsten Werks knapp 14 Millionen Euro verschlingen und, was ebenso rekordverdächtig ist, mehr als 200 Drehtage in Anspruch nehmen.

Wer sich hierzulande als Schauspieler der ersten Garde zugehörig fühlen will, tat gut daran, seinen Agenten anzuweisen, zumindest eine Minirolle im TV-Spektakel zu ergattern. Nähere Informationen über die Nervenzusammenbrüche und andere menschliche Entgleisungen, zu denen es am Set kommen musste, entnehmen Sie bitte den Fachblättern Bunte und Gala.

Wedel wütet wie ein Berserker, aber er ist auch ein Biedermann. Seine verschlungenen Mehrteiler, „Der große Bellheim“ etwa oder „Der König von St. Pauli“, kommen als Königsdramen daher, erzählen von Politikern, Mafiosi und anderen tendenziell zwielichtigen Gestalten, bestätigen aber letztlich nur die Zweifel, die der Normalo sowieso an den Zirkeln der Macht hegt.

Die Ängste und Dünkel der kleinen Leute – Wedel spielt virtuos mit ihnen. So begründete der Regisseur seinen Erfolg 1972 mit der Häuslebauer-Chronik „Einmal im Leben“, in der eine puschelige Familie mit dem puscheligen Namen Semmeling der Willkür von Behörden und Handwerkern ausgeliefert wird. Für „Die Affäre Semmeling“ lässt Wedel nun die Figuren von damals in Nebensträngen der Handlung auftreten. Diesmal werden die einst von der Sehnsucht nach einem Eigenheim getriebenen Bruno und Trude Semmeling (30 Jahre älter, aber genauso puschelig: Fritz Lichtenhahn und Antje Hagen) nicht nur von Maurern gequält, sondern vom Finanzamt. Ihr Sohn Sigi (Stefan Kurt), ein freundlicher Phlegmatiker, gerät hingegen durch einen Zufall ins Zentrum der politischen Macht.

Indem Wedel die Leiden des kleinen Steuerzahlers mit den Intrigen im Hamburger Rathaus verknüpft, bedient er geschickt die Logik kleinbürgerlicher Ressentiments: Wenn der Fiskus derart unverschämt zuschlägt, müssen die Politiker, die sich aus dem Steuertopf bedienen, wahrlich verdorbene Gestalten sein. Also lässt sich das unübersichtliche Gemauschel innerhalb der Hamburger Lokalpolitik, die ja schon immer als schwer verfilzt galt, zum Verschwörungsthriller hochstilisieren. Da werden nachts im Bürgermeisterbüro Parteispenden verschoben, und im mondänen Ambiente der Staatsoper spinnen Politbonzen mal eben ein Komplott. Die Verschwörer gehören allesamt zur Sozialdemokratie, schließlich spielt die Rathaus-Saga vor dem Machtwechsel an der Elbe.

Die realen Politiker, die hinter dem schillernden Gebaren der Schauspieler auszumachen sind, dürfen sich trotz der unterstellten Niedertracht geschmeichelt fühlen: Solche kriminelle Grandezza hätte man den Piefkes doch nicht zugetraut. Nehmen wir zum Beispiel Exbausenator Eugen Wagner, der lange Zeit als Königsmacher der Hamburger Sozis galt: Der Mann wurde wenig repektvoll „Beton-Eugen“ gerufen, und sein grobes Auftreten hätte tatsächlich besser hinter den Betonmischer gepasst als aufs politische Parkett. In „Die Affäre Semmeling“ gibt nun Mario Adorf das ungepflegte Windei Wagner als eleganten Strippenzieher. Ein Verschwörer von shakespearscher Statur.

Da passt es ins Bild, dass der ehemalige Bürgermeister Henning Voscherau zum tragischen Idealisten à la Hamlet erhoben wird. Robert Atzorn mimt den Stadtvater mit strenger Stirnfalte und fast unerschütterlichem Gerechtigkeitssinn. Dass ausgerechnet Voscherau als Lichgestalt gefeiert wird, erstaunt. Immerhin spielte er gerne die gekränkte Diva: Als er bei der Wahl 1997 nicht den geforderten Beifall des Volkes erhielt, zog er sich lieber von der politischen Bühne zurück, als sich mit der ungemütlichen Sitzverteilung in der Bürgerschaft auseinander zu setzen.

An prominenten Vorbildern mangelt es in Wedels neunstündigem Spektakel wirklich nicht. Selbst Bundeskanzler Schröder findet in dem massigen Innensenator, den Heinz Hoenig spielt, einen Wiedergänger – und kommt dabei passabel weg: Der Pragmatismus der Figur mag zwar unverschämt wirken, die sexuelle Standhaftigkeit des meist mit offener Hose rumlaufenden Politmachos könnte indes manchem männlichen Zuschauer lässig erscheinen. Der Kanzler, ein glamour boy!

Das Politdrama, das mindestens ebenso sehr Kolportage ist wie Krimi, ist also recht lustig geworden. Und die Verknüpfungen der Handlungsebenen bewältigt Wedel spielend – mögen sich in der Hektik des Schneidens wenige Wochen vor Start auch einige Patzer eingeschlichen haben. Wann immer aber Wedel das Rathaus und das Eigenheim der Semmelings verlässt, werden die Impressionen schal. Im ersten Teil verfrachtet er seinen tolpatschigen Helden Sigi nach Jamaika, wo die Schwarzen nichts Besseres zu tun haben, als zu tanzen oder durch Gegend zu ballern. Genauso befremdlich wirken die Demos, auf denen grüne Querulanten ständig Quark sabbeln. Schön für Spießer: Auch hier finden sie ihre Vorbehalte bestätigt.