Stets eine Schleimspur im Gepäck

Im „Machtclub“ ist diesmal der Autor und Dramaturg John von Düffel zu Gast  ■ Von Annette Stiekele

Das wichtigste im Leben von Philipp ist sein Bauchnabel. Er muss auf Null gebracht werden. Das wird akribisch jeden Morgen nachgemessen. Dafür malträtiert ihn der strebsame Unternehmensberater mit Fitnessgeräten, Spannern, Steppern und anderen fiesen Dingen. Für ihn steht fest, dass „jeder, der heute ernst genommen werden will, absolut Athlet sein“ muss.

Autor John von Düffel, der in seinem neuen Roman Ego kundtut, wie wenig der heutige Fitnessgrößenwahn für ihn der Nabel der Welt ist, hat solche Plackereien nicht nötig: Er ist auch so erfolgreich. Das Multitalent ist als Autor, Dramatiker, Dramaturg und Hörbuchschreiber unterwegs. 1966 in Göttingen geboren, hatte er mit 23 Jahren schon eine Promotion in Erkenntnistheorie vorzuweisen.

Inzwischen arbeitet er als Dramaturg am Thalia Theater und hat bereits seinen dritten Roman verfasst, den er heute im Rahmen des Machtclubs im Mojo Club vorstellt. Ego folgt auf den unter anderem mit dem Aspekte-Preis verzierten Erstling Vom Wasser und den etwas verätselten Nachfolger Zeit des Verschwindens, der deutlich weniger Aufmerksamkeit erregte.

Der neue Roman versucht sich nicht an menschlichen Untiefen. Vielmehr zeigt er Düffels gnadenlose Verachtung für neuzeitliche Fitnesssüchtige, die immer die Karriere im Auge und die Schleimspur im Gepäck haben. Denn die ganze Schinderei dient nur zwei Zielen: begehrte Paa-rungsobjekte an Land zu ziehen – und dort zu halten – sowie mit deren Hilfe zum ersehnten Karrieresprung und somit Gehaltserhöhung zu gelangen. Manch einer verliert über all den damit verbundenen Intrigen und Kalorientabellen schon mal den Überblick.

Auch Philipp stolpert auf der Jagd nach makrobiotischer Kost und fünf Litern Wasser am Tag von einem Fettnapf zu Fettnapf und von einer unheilvollen Affäre zur nächsten. Nicht gerechnet hat er mit seiner ausgefuchsten Lebensabschnittspartnerin Isabell. In der Firma hält sie ihm mit viel Geschick „den Rücken frei“, in Wirklichkeit plant sie jeden seiner Schritte einschließlich Juniorpartnerschaft und Vaterschaft im Voraus.

Er ist zwar für sie „der größte Egoist“, den sie kennt, aber für die eigenen Ziele hält auch sie durch, akzeptiert seine „elastische Monogamie“. Die praktiziert er ausgerechnet mit ihrer besten Freundin Katrin (wegen der „strammen Joggerwaden und ihrer wohlgeformten Trizepsmulde“), mit seiner attraktiven Sekretärin Viola (wegen ihres sensationellen Spanns und ihrer Endlosbeine) und mit diversen Trainerinnen in seinem Fitnessstudio.

Kompliziert wird es allerdings, als ihm die Frauen seiner Vorgesetzten nachstellen. Es entsteht die „Weinheimer-Krise“: Beim gemeinsamen Urlaub mit den Weinheimers interessieren Philipp schnell die Schlüsselbeine der schönen Gattin des Chefs, die nicht zuletzt ihr Begehren forsch artikuliert und ihn in ernste Bedrängnis bringt. Leider bleibt die Geschichte damit vorhersehbar, denn selbstverständlich kann er am Ende nur zum Opfer dieser kurzsichtigen Hingebung werden.

Dennoch müssen wir uns den gequirlten Schwachsinn dieses eindimmensionalen Grobians die ganze Zeit anhören. Schade auch, dass von Düffel sich seitenlang in ermüdender Beschreibung ergeht, von Zwangsneurosen, die sich um Fist-Twister, Trizeps-Umfänge und freudlose Diäten drehen. Zwar ist seine Sprache gewohnt erfindungsreich und zeugt von eindrucksvoller Kenntnis der Materie: „Ich erstehe die expertenübliche Einhänder-Radlerflasche mit ergonomischer Griffverschlankung, dental verstellbarem Verschlussnippel und tropfensicherem Kautschuk-Inlay“. Doch das Thema gibt diesen Wortreichtum nicht recht her.

Wer John von Düffel live erlebt hat, weiß jedoch, dass er außerordentlich pointiert und witzig seine eigenen Texte vorträgt, und so wird dies allemal ein unterhaltsamer Abend. Neben John von Düffel hat der Machtclub wie gewohnt weitere launige Programmpunkte. Aus Berlin reist der Textperformer Ahne an, der beim Kiwi-Verlag einen Kurzgeschichtenband untergebracht hat. Für gewöhnlich liest er, es kann aber schon mal passieren, dass Ahne anfängt zu singen. Für loungige Musik sorgen Declan Broadberry und Pari D. Natürlich gibt es auch wie immer knackige Fünf-Minuten-Prosa im Wettstreit um das schönste Hirschgeweih bei den „Jägermeisterschaften“. Durch den „Machtclub“- Abend führen diesmal Dierk Hagedorn und Benjamin Maack.

heute, 20 Uhr, Mojo

John von Düffel, Ego, DuMont 2001, 281 S., 19,80 Euro (38,73 Mark)