Antihelden wie wir

In „Leben bis Männer“ lässt Thomas Brussig einen ostalgischen Trainer schwadronieren – als sei es eine politisch inkorrekte Version von Nick Hornby

Im entscheidenden WM-Relegationsspiel gegen die Ukraine standen in der deutschen Fußballnationalmannschaft fünf Spieler, die das Toreschießen in der DDR gelernt haben. Motor Karl-Marx-Stadt, Empor HO Berlin, Aufbau Jena, Robotron Sömmerda und TSG Wismar heißen die Heimatvereine der Herren Ballack, Rehmer, Schneider, Linke und Jancker, die ihrer Arbeit längst im Westen der Republik nachgehen.

Den Trainer der BSG Tatkraft Börde, Mittelpunkt in Thomas Brussigs Buch „Leben bis Männer“, hätte gefreut, dass besagte Kicker in Dortmund drei der vier Tore schossen – wenn auch nicht ohne Neid: Beschränkt sich seine Begegnung mit der großen Fußballwelt doch darauf, in der Jugend einmal gegen Jürgen Sparwasser gespielt zu haben.

Brussig lässt einen namenlosen Trainer einen Monolog über Gott und die Welt halten, was für ihn auf dasselbe herauskommt: Fußball. „Männer! Fußball ist alles!“, deklamiert er und lässt ganz in diesem Sinne sein Leben Revue passieren, egal ob es um die Exfrau oder Quantenphysik geht. So ensteht das Bild eines 50-jährigen Kreisklassencoachs, der fußballerisch auf die alte Schule setzt („Mit diesen ganzen antiautoritären Moden muss mir niemand kommen.“) und weltanschaulich ähnlich provinziell gestrickt ist. Er ist der alltägliche, sich weltoffen wähnende Rassist („Asamoah klingt nach Dschungel pur“) und Frauen taugen bei ihm allenfalls als Motivationsbonbon am Spielfeldrand: „Abseits, Libero – das kann man ihnen noch erklären. Irgendwann begreifen sie es sogar. Aber Frauen begreifen nie, wieso Fußball.“

Seinen Antihelden hat Brussig als Wendeverlierer gezeichnet. Erst ging der Arbeitsplatz bei der LPG flöten, dann das neu eröffnete Sportgeschäft Pleite („Von Baseballschlägern allein kannste auf Dauer auch nicht überleben.“). Die Ehe scheiterte, natürlich des Fußballs wegen. Dennoch geht es dem Autor nicht darum, einen chauvinistischen, ausländerfeindlichen Ostalgiker bloßzustellen. Wie die Romane „Helden wie wir“ (worin die Stasi bereits die Trikotfarbe von Bayern München diskutierte) und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ federt Brussig auch dieses Ein-Personen-Stück humoristisch ab, indem er den Übungsleiter etwa selbst den Concorde-Absturz mit dem Fußball begründen lässt.

Tragikomisch kommt auch die Engführung von Mauer- und Torschuss daher – des Trainers Ziehsohn wird als Grenzsoldat verurteilt, worauf er im Aufstiegsspiel die Notbremse verweigert. Darüber hinaus sind die Stammtischparolen des Protagonisten durchaus mit ernsthaften Beschwerdegründen verquickt. Wenn er klagt, dass die Länderspiele der DDR-Nationalspieler vom DFB nicht in die gesamtdeutsche Statistik übernommen wurden, ist klar, warum es die PDS wieder zu einer Regierungsbeteiligung bringt.

Brussigs Buch, inzwischen am Deutschen Theater in Berlin auf die Bühne gebracht, könnte als politisch inkorrekte Version von „Fever Pitch“ gelesen werden: als würde Nick Hornby bei Arsenal plötzlich über „schwarze Perlen“ schwadronieren, wenn Thierry Henry ein Tor schießt. Aber genauso wie sein britischer Kollege schafft es auch Thomas Brussig, die Faszination des Fußballs – seine Funktion als biografische Korsettstange, als kollektives Speichermedium und als globales Erklärungsmodell – in einer Weise darzustellen, die nicht nach Gut oder Böse fragen muss, weil das Spiel selbst schon als moralische Anstalt im Mittelpunkt steht.

„Fußball ist einmalig. Es ist bescheuert, aber es ist so“, sagt der bierbäuchige ostdeutsche Fußballtrainer aus der Provinz. „Leben bis Männer“ bestätigt diesen grandiosen Befund so schön, wie die Nationalmannschaft leider schon lange nicht mehr gespielt hat. MALTE OBERSCHELP

Thomas Brussig: „Leben bis Männer“. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2001, 96 Seiten, 10 €