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: Der Gegen-Stoiber

Weil die Union sich jetzt für Edmund Stoiber entschieden hat, steht auch der Spitzenkandidat der rot-grünen Koalition fest. Zur Überraschung mancher ist es nicht Gerhard Schröder, sondern Joschka Fischer. Das ist keine Frage von Plakaten oder Listenplätzen. Es ist eine Frage des Kontrasts zu Edmund Stoiber, dem Herausforder. Seit Samstag hat der Außenminister, der schon so viele Verwandlungen erlebt hat, ein neues Gesicht: Bis zur Bundestagswahl ist Joschka Fischer der Gegen-Stoiber.

 Der Erste, der daran ein Interesse haben muss, ist Gerhard Schröder. Wenn der Bundeskanzler die Polarisierung im Wahlkampf wirklich will, wird er Fischer in den Vordergrund schieben müssen. Auch wenn dem Exjuso Schröder der Gedanke nicht behagen mag, so ähnelt er selbst dem Junge-Union-Veteranen Stoiber zu sehr: Zwei Pragmatiker, die beide was von Wirtschaft verstehen, können einander kaum Wähler abspenstig machen.

 Der Grüne dagegen verkörpert die Richtungsentscheidung, um die es bei der Bundestagswahl 2002 geht: Wollen wir zurück in ein Deutschland, in dem die Politiker und die Bürger aus zwei verschiedenen Welten kommen? Fischer verkörpert in seiner Herkunft, seinem Image und seiner Politik den Gegenentwurf zum Mann aus München. Vor allem aber steht er für ein Deutschland, in dem Regierung und Bevölkerung miteinander im Reinen sind. Darin liegt der Grund für seine Popularität, die weit über parteipolitische Grenzen hinaus geht. Deshalb riefen ihn die Zeitgeistritter der Zeitschrift Max am Jahreswechsel zum König von Deutschland aus – mit Goldkrone und Hermelinmantel.

 Welches Deutschland auf uns zukommt, ist noch ungewiss. Das neue Deutschland ist noch nicht getauft. Doch es ist eine Republik, die so sehr von 68 durchdrungen ist, dass sie schon wieder dabei ist, 68 zu überwinden: mal spielerisch-selbstironisch wie in Joschka Fischers Anzügen, mal mit beinah ungeheurem Ernst wie im Afghanistankrieg. Ein Kanzler Edmund Stoiber hätte zu dieser Selbstfindung nichts beizutragen. Er ist der Mann der grauen Männer, er ist der Repräsentant einer karrieristischen Beamtenklasse, deren Herrschaft Deutschland grau und langweilig machte. Natürlich hat Fischer mit dem Staat als Ordnungsmacht seinen Frieden geschlossen, aber als Fetisch betrachtet er ihn bis heute nicht. Weil Edmund Stoiber hinter 68 zurückfällt, kann er nicht über 68 hinausblicken. PATRIK SCHWARZ