Auf dem Weg zum Kulturland Nummer eins

Mit Weltklassemuseen an die Börse: China will mit seinem Kulturerbe ganz groß rauskommen. „Kulturelle Kommerzialisierung“ ist ein Schlagwort des laufenden Fünfjahresplans. Die Zeiten, da alte Vasen und Statuen als bourgeoise Erbstücke und nutzlose Objekte galten, sind jedenfalls vorüber

von MARTIN EBNER

Die amerikanische Filmindustrie erziele „erstaunliche Profite“, klärt die Nachrichtenagentur Xinhua auf und verkündet: Damit werde bald Schluss sein, denn China werde seine „reichen kulturellen Ressourcen“ für den internationalen Wettbewerb nutzen. 10.000 Jahre Malerei, 8.000 Jahre Musikinstrumentenbau, 5.000 Jahre Keramik und 3.000 Jahre Dichtkunst: „China ist bereit, in der globalen kulturellen Arena seinen angemessenen Platz zu erobern.“

Nicht nur wirtschaftlich, auch kulturell will China weltweit die Nummer eins werden. Aus Sicht der Regierung in Peking geht beides Hand in Hand. „Kulturelle Kommerzialisierung“ ist eines der Schlagworte des Fünfjahresplans 2001 bis 2005. Die „Entwicklung kultureller Produktion und ihre Integration mit der Informationsindustrie“ sei enorm wichtig für die Konkurrenz mit den USA, aber auch, weil immer mehr Chinesen Freizeit und Geld für Unterhaltung haben. Eine Fülle von Maßnahmen ist geplant, vom Patentschutz für traditionelle chinesische Medizin bis zum Bau eines neuen Nationalmuseums und anderer „Weltklassemuseen“, die an der Börse als Aktiengesellschaften notiert werden sollen.

Die größten chinesischen Städte sind schon bei der Umsetzung des Programms. Schanghai vertreibt die Schwerindustrie aus dem Stadtzentrum und versucht, die Angestellten der umworbenen Finanz- und Hightech-Branchen mit attraktiven Freizeitangeboten bei Laune zu halten. Peking betrachtet die Kultur- und Unterhaltungsindustrie ebenfalls als „neuen ökonomischen Pfeiler der Stadt“ und investiert Millionen in Theater, Bibliotheken und Kunsthallen. Weil es Touristen weniger in Hochhausschluchten und mehr zu schwungvoll gebogenen Ziegeldächern zieht, hat die Hauptstadt nach jahrelangen Betonorgien 25 Altstadtviertel unter Schutz gestellt. Der letzte vorhandene Innenhof aus der Ming-Zeit wurde allerdings abgerissen, um Platz zu machen für die Olympiade.

Kulturdenkmäler sollen Geld und Prestige bringen. Heute schon auf dem fünften Platz, will China bis zum Jahr 2020 das größte Reiseland der Erde werden. Der Unesco-Liste des Weltkulturerbes kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn China will mit dem Slogan „Weltklassische Reiseziele des 21. Jahrhunderts“ werben. 28 der derzeit 721 Welterbe-Stätten sind in China, von der Großen Mauer bis zum Potala-Palast in Lhasa. Nur in Italien und Spanien gibt es noch mehr Kulturerbe von „universellem Wert“, aber nicht mehr lange, denn China, das der Welterbe-Konvention erst 1985 beigetreten war, hat bereits 30 weitere Orte auf der Warteliste für die Unesco-Weihen. Im Dezember nahm das Welterbe-Komitee die Yungang-Grotten auf. Noch voraussichtlich zehn Jahre, dann wird China die Liste anführen.

Dass das UNO-Prädikat Touristen anzieht, steht außer Zweifel. Nach der Unesco-Auszeichnung stieg zum Beispiel in Chengde die Besucherzahl der kaiserlichen Sommerresidenz von einer auf über drei Millionen jährlich. In Peking musste der Himmelstempel aus dem 15. Jahrhundert auf eine größere Plattform gestellt werden, um den Ansturm zu bewältigen; der Kaiserpalast wurde am diesjährigen Maifeiertag von 110.000 Touristen geradezu gestürmt.

Ob der Rummel den Denkmälern gut tut, ist fraglich, jedenfalls aus westlicher Sicht. Die chinesische Auffassung ist weniger sentimental: Souvenirhändler im Tempel oder Neonröhren in einer Pagode stören nicht, denn das Wichtigste an einem Monument sind nicht Äußerlichkeiten, sondern die damit verbundenen Mythen und Gedichte. Paläste und Pavillons wurden immer schon abgerissen, umgebaut; Schriftzeichen aber sind ewig. Als letztes Jahr die Stadt Qufu die Konfuzius-Gedenkstätten der „Confucius Int. Tourism Co Ltd“ übertrug, rief das jedoch auch in China Empörung hervor. Die Privatfirma hielt es für nötig, die Holzbauten mit Dampfstrahlern zu reinigen, zum Beispiel von alten Wandbildern.

„Wir können unmöglich alle Welterbe-Stätten überwachen“, bedauert Edmond Mukala, der Leiter des Unesco-Büros in Peking. Immerhin seien Beschwerden manchmal erfolgreich: „Als wir zum Beispiel 1998 Müll an den Berghängen des Huangshan kritisierten, haben sich die zuständigen Behörden das derart zu Herzen genommen, dass wir ihnen schon im folgenden Jahr eine Auszeichnung für gutes Management geben konnten.“ Die Regierung sei dem Denkmalschutz gegenüber durchaus aufgeschlossen, seit den Reformen hätten aber lokale Stellen freie Hand und hätten „oft ihre Integrität verloren“. Das Hauptproblem sei, dass der Wirtschaftsboom zu kurzsichtiger Geldgier geführt habe. Unermüdlich predigt Mukala daher: „Kulturerbe ist unbezahlbar. Sorglosigkeit zerstört es für immer; gut gepflegt, kann es aber eine langfristige Einnahmequelle sein.“

Zuweilen gehen auch die Ansichten auseinander, was erhaltenswert sei. Mukala wünscht mehr Beachtung der 55 ethnischen Minderheiten des Landes; bisher ist auf der Welterbeliste aus China fast nur Han-Kultur zu finden. Die chinesische Ansicht, zum Welterbe gehöre – wie Auschwitz – auch Pingfang, ein Schauplatz japanischer Biowaffenversuche während des Zweiten Weltkriegs, dürfte wiederum die Unesco kaum begeistern – Japan ist der Hauptgeldgeber der Unesco und stellt den Generaldirektor.

Trotz internationaler Proteste wurde im Mai in Schanghai das herrschaftliche, unter Denkmalschutz stehende Elternhaus des Architekten I. M. Pei abgerissen, um für einen Park Platz zu schaffen. Daneben wurde ein Lagerhaus bis auf den letzten Ziegelstein restauriert – weil dort eine kommunistische Jugendzeitung gegründet worden war.

Trotz solcher Rückfälle scheinen aber die Zeiten vorbei zu sein, da die chinesische Regierung ihre Untertanen aufforderte, alte Vasen, Statuen und andere bourgeoise Erbstücke zu „Sammelstellen für nutzlose Objekte“ zu bringen, um sie zu vernichten. Der Erhalt von Kunstwerken und Denkmälern dürfte heute weniger an der Ideologie der Machthaber scheitern, eher daran, dass China trotz aller Ambitionen immer noch ein armes Entwicklungsland ist.

Auf eine Million Chinesen kommt nur ein Museum; in dem riesigen Land kümmern sich nur rund 60.000 Menschen hauptberuflich und meist schlecht bezahlt um das Kulturerbe. Da verwundert nicht, dass viele Chinesen die kulturelle Kommerzialisierung auf eigene Weise interpretieren. Kunstschmuggler haben Hochkonjunktur. In der Qinghai-Provinz wollten an die tausend Bauern den Winter nicht untätig verbringen und bearbeiteten mit Bulldozern eine der wichtigsten archäologischen Stätten Chinas, ein Feld mit rund 300 Gräbern der Tubo-Kultur (618–907 v. Chr.). Vor ihren Raubgrabungen hatten sie sich bei Auktionshäusern über die Nachfrage informiert. „Selbst in abgelegenen Dörfern liegt nun Sotheby’s Art Market Review herum“, empören sich Denkmalschutzaktivisten der Bürgerinitiative Cultural Heritage Watch. „Das Ganze geht nach dem Motto ‚Du brauchst nur eine Nacht, um reich zu werden!‘“

Chinesische Denkmalschutzaktivisten nutzen das Rotterdamer „Museum Security Network“: www.culturalheritagewatch.org. Die offizielle Seite der chinesischen Weltkulturerbe-Stätten: www.china.org.cn/yichan/index/index.htm