Mit nichts als der Wahrheit und drei Akkorden

Der Theologe Hans Küng sprach am Sonntag im Rahmen der von Bertelsmann und den Berliner Festspielen veranstalteten „Berliner Lektionen“

Menschen, die ihr Leben einer Mission verschrieben haben, teilen ein trauriges Schicksal: Prediger einer Botschaft von universaler Bedeutung, sind sie dazu verdammt, diese Botschaft ohne Rücksicht auf Verluste ein Leben lang immer und immer wieder wortgleich zu verkündigen, auf dass der Rest der Welt endlich verstehe. Und sie gelten ob ihrer fast unvermeidlichen Penetranz oft sogar denen, die ihr Anliegen achten, als Nervensägen. Der Tübinger Theologe Hans Küng ist so einer: seit über zehn Jahren unterwegs im Dienste seines großen Projektes, der Entwicklung eines interreligiösen „Weltethos“. Zahlreiche Bücher zu diesem Thema hat er vorgelegt, eine Stiftung aufgebaut, in der ganzen Welt um Partner geworben. Am Sonntag sprach er im Rahmen der von Bertelsmann und den Berliner Festspielen veranstalteten „Berliner Lektionen“.

Im ausverkauften, holzgetäfelten Renaissance-Theater feierte man den berühmten, weit gereisten Mann liebevoll. Das gediegene Publikum wiegte gemeinschaftlich zustimmend das Haupt und spendete mehrmals Applaus auf offener Szene, während Küng mit sanfter Stimme und Schweizer Akzent den alten, immer gleichen Song vortrug – ohne Gitarre, mit nichts als der Wahrheit und drei Akkorden: „Kein Überleben ohne Weltethos, kein Weltfriede ohne Religionsfriede, kein Religionsfriede ohne Religionsdialog.“ Daran hat sich seit der Geburt des Weltethos-Projekts kein Iota geändert, daran wird sich nichts ändern.

Bei Küng-Auftritten sind die Titel (hier: „Weltpolitik und Weltethos – zum neuen Paradigma internationaler Beziehungen“) Nebensache. Wer Küng einmal gehört hat, weiß, worum es geht, und kann den Refrain mitsingen: Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formulierten Werte bedürfen zu ihrer Verwirklichung und Abstützung eines globalen Ethos der Gläubigen aller Weltreligionen (und der Ungläubigen noch dazu), das auf Gewaltlosigkeit, Solidarität, Toleranz und Partnerschaft verpflichtet. In allen Religionen gebe es Grundlagen für einen solchen ethischen Konsens ebenso wie Menschen, die bereit sind, sich auf den interreligiösen Dialog einzulassen – woraus nicht folge, dass der Dialog einfach sei, wie Küng betonte. Er kennt natürlich den Vorwurf, er sei nicht bloß eine Nervensäge, sondern eine naive noch dazu, und verwahrt sich dagegen. Zu Recht: Schlechte Erfolgsaussichten wären ein schwacher Einwand gegen sein Projekt, zumal Küng eine eindrucksvolle Wirkung entfaltet hat, von dem durch ihn angeregten „Parlament der Weltreligionen“ 1993 angefangen bis zu seiner Rede vor der UN-Vollversammlung im vergangenen Dezember.

Die relevanten Vorbehalte gegen die Idee des „Weltethos“ setzen denn auch viel tiefer an, in erster Linie bei Küngs Prämisse, nur die absoluten Wahrheits- und Gehorsamsansprüche der Religionen könnten auch den säkularen Menschenrechten „absolute“ Geltung verschaffen, weswegen Letztere religiös „abgestützt“ gehörten. Dagegen aber stehen nun die Menschenrechte selbst, die als individuelle Freiheitsrechte gerade die bodenlose, reflexive Aufsprengung jedes „absoluten“ ethischen oder religiösen Systems feiern und deshalb nicht selbst in einem solchen begründet werden können. Anders gesagt: Wer sich eh schon im Besitz einer absoluten Wahrheit wähnt, braucht gerade keinen Konsens mehr. Wer aber das, was vernünftiger Konsens ist, als die Wahrheit betrachtet, kann keine religiöse Legitimation mehr aufbringen, die noch über diesen Konsens hinausginge. Daraus würde folgen: Wer mehr Menschenrechte will, braucht nicht mehr Ethos, sondern mehr Reflexivität, mehr Dezentrierung: mehr Aufklärung.

Da die Berliner Lektionen „Lektionen“ und nicht „Diskussionen“ heißen, waren Fragen nicht vorgesehen, aber wozu auch: Die beißende Kritik und der oft hämische intellektuelle Spott über den Weltniveauethiker Küng sind so alt wie das Projekt Weltethos selbst und genauso bekannt. Einen wie Küng beeindruckt das nicht. Der Mann hat für seine Überzeugungen ganz anderen Gegnern die Stirn geboten, mangelnden Mut kann ihm niemand vorwerfen. Er winkt seinem applaudierenden Publikum zu, dankbar und ein wenig schüchtern, dann geht er. Keine Zugabe. Er hat eine Mission. DAVID LAUER