Sympathie für die Bauern

Wer ist Opfer, wer Täter im Stall? Drei Bücher zu neuen Überlebensmodellen der Landwirtschaft

von MANFRED KRIENER

Es war auf einem Viehmarkt am Vierwaldstätter See. Überall zwischen muskulösen Bullen und rehäugigen Kälbern humpelten Bauern herum. Unfallverletzungen, Rheuma, Buckel, Gicht oder einfach nur verschlissene, aus der Form geratene, zerbrochene Körper. Dazu die derben, rissigen, manchmal nikotingelben Hände. Je genauer man hinsah, desto heftiger offenbarte sich ein abgearbeiteter Stand: Der Bauer, der „Gebure“ (mittelhochdeutsch), der „Mitbewohner, Nachbar, Dorfgenosse“ ist krank. In keinem anderen Beruf wird man in den westlichen Ländern derart ausgebeutet.

Seltsamerweise hat die Konkursmasse der Linken dennoch wenig Sympathie für den Bauern. Eine kurze Ausnahme waren die Anti-Atom-Demonstranten: Wenn die Trecker der Gorlebener Bauern in Stellung gingen, dann liebten sie für einen kurzen Augenblick die Bauern. Aber sonst?

Natürlich gibt es die Biohöfe, die wir im Vorbeifahren wohlgefällig registrieren, wo wir uns auch mal mit Eiern und Gemüse versorgen und Kälbchen Peter freundlich die Stirn tätscheln. Aber schon in den 80er-Jahren war uns der Bauer vor allem Giftspritzer. In den letzten Jahren machte er als Massentierhalter Karriere. Bis zu der durch den BSE-Sturm ausgelösten Agrarwende war die Agrarpolitik zudem als unbegreifliche Brüsseler Geheimwissenschaft abgehakt. Schon die Berechnung der Milchquote überforderte den normalen Mitteleuropäer. Wer wollte sich da noch um Agrarausschüsse, Grünlandprämien und Direktsubventionen kümmern?

Die BSE-Lektion hat uns klar gemacht, wie ignorant wir waren. Wer daraus Konsequenzen ziehen und sich intensiver mit Agrarindustrie, Bauernschaft und Landwirtschaftspolitik befassen will, wird derzeit gut bedient. Bücher über die Agrarwende schießen reichlich aus dem von Renate Künast gut gedüngten Boden. Das bisher beste Buch ist die „Agrarwende“ von Götz Schmidt und Ulrich Jasper. Das Autorenduo aus dem Umfeld der Agraropposition liefert eine gute Bestandsaufnahme. Vor allem aber: Ihre Sympathie für die Bauern ist auf jeder Seite spürbar. So erlaubt das Buch einen Perspektivwechsel. Der Bauer ist nicht nur Täter, sondern auch Opfer, Lohnarbeiter für die Geflügelindustrie und Almosenempfänger einer Gesellschaft, die ihm jeden Berufsstolz nimmt. Der Bauer, schreiben sie, hat genau das getan, was alle von ihm verlangen: billige Koteletts produziert!

Die Autoren zeigen jenseits von Tierseuchen und Skandalen den Alltag und Überlebenskampf der Bauern. „Der kulturelle Bruch zur übrigen Gesellschaft wird bei den Arbeits- und Lebensbedingungen am schmerzlichsten erfahren.“ Modernisierte große Milchviehbetriebe werden mit zwei Arbeitskräften und dem rüstigen Opa betrieben, aber „es darf nichts passieren“, niemand darf krank werden, der Druck ist immens. Der Traum von der Modernisierung, die Hoffnung, dass die Landwirtschaft ein Beruf wie jeder andere werden könnte, hat sich nicht erfüllt. Viele Betriebe sind zum Einmannunternehmen verkommen mit menschenleeren Feldern und isolierten Arbeitern. „Wer heute der Kuh das Kalb aus dem Leib zieht, tut dies in gesellschaftlicher Einsamkeit.“ Das Buch ist dann am stärksten, wenn es die soziale Lage der Bauern beschreibt, die Suche nach Auswegen, die in viele experimentelle Hofmodelle mündete.

Die Tierhaltung ist ein anderer Schwerpunkt. Da wird mal nicht über die Hühnerfolterkammern gejammert, sondern werden en detail die Produktionsbedingungen in den Ställen beschrieben. Was ist denn mit dem hoch gelobten Laufstall für Kühe, mit „Cowcomfort“ und postmoderner Viehhalle, in der jene 10.000-Liter-Kuh steht, die dreimal so viel Milch gibt wie ihre Vorgängerin der 60er-Jahre? Der Laufstall sei ein „Herumstehstall“ mit ständigen Rangkämpfen, in dem die Tiere schon nach fünf Jahren wegen Unfruchtbarkeit, Klauen- und Euterkrankheiten ausgemustert werden.

In Sachen Ökolandbau bleiben die Autoren skeptisch, was die 20-Prozent-Vorgabe von Ministerin Künast angeht. Vor allem befürchten sie, der wachsende Preis- und Rationalisierungsdruck lasse die Bioerzeuger von vernünftigen Grundsätzen Abschied nehmen. Nur: Statt die Standards in der ökologischen Landwirtschaft zu senken, um den Preisabstand zur „normalen“ Landwirtschaft zu verringern, müsse man sie in der Normallandwirtschaft anheben.

Schmidt und Jasper sezieren endlich auch einmal das wolkige Gebilde names Agrarlobby – also Genossenschaften, Zuchtverbände, Landwirtschaftskammern. Sie legen die Interessenlagen offen und zeigen den Bauern als sprachlose Randfigur. Das Buch ist dennoch nicht düster-pessimistisch. Mit neuen Aufgaben als Landschaftspfleger und Energiewirt, mit neuen Hofmodellen und einer veränderten gesellschaftlichen Antenne sollte Friedrich Engels zu widerlegen sein, für den der Kleinbauer nichts als ein „Überrest vergangener Produktionsweise“ war.

Ulrich Kluge („Ökowende“) und Franz Alt („Agrawende jetzt“) erreichen in ihren Büchern nicht diese Tiefe und Authentizität bei der Beschreibung der Krise. Sie sind nicht so „dicht dran“ an den Bauern und dem Produktionsalltag auf den Höfen. Alt verarbeitet vor allem die von den Medien beschriebenen Skandale und zeichnet Zukunftsmodelle einer anderen Gesellschaft, die weitgehend vegetarisch lebt, das Tier als Mitgeschöpf akzeptiert und zu 100 Prozent Ökolandwirtschaft betreibt. Sein Buch ist leidenschaftlich und will entlarven.

Kluge beginnt dagegen etwas hölzern, bleibt lange auf der Abstraktionsebene der Brüsseler Agrarpolitik, bevor er konkreter wird. Auch er kämpft für die bäuerliche Landwirtschaft, informiert faktenreich und engagiert – jedoch weniger über das Befinden der Bauern als über den langen Weg in die Krise der europäischen Agrarpolitik. Er zeigt den Wandel der englischen BSE-Krise zur politischen Krankheit eines ganzen Kontinents.

Götz Schmidt/Ulrich Jasper: „Agrarwende. Die Zukunft unserer Ernährung“. Beck, Mü. 2001, 220 S., 12,50 € Franz Alt: „Agrarwende jetzt. Gesunde Lebensmittel für alle“. Goldmann, München 2001, 187 S., 8 € Ulrich Kluge: „Ökowende. Agrarpolitik zwischen Reform und Rinderwahnsinn“. Siedler, Berlin 2001, 188 S., 18 €