Der Kontroverse weitestmöglich aus dem Weg gegangen

Die Vergangenheitsbewältigung nach 1945 bildet einen Schwerpunkt der Ausstellung. Aber wichtige Kapitel bleiben außen vor – etwa die Debatte um rechtsradikale Gewalttäter

BERLIN taz ■ Wie die Deutschen in Ost und West nach 1945 mit dem Mord an den Juden umgegangen sind, versucht die Holocaust-Ausstellung als zweiten Schwerpunkt herauszuarbeiten. Dabei geht es nicht nur, wie der Ausstellungs-Untertitel nahelegt, um „Motive der Erinnerung“ an den Völkermord, sondern um die Realgeschichte der „Vergangenheitsbewältigung“ in beiden deutschen Staaten. Die wird chronologisch dokumentiert – von den alliierten Umerziehungsversuchen bis zu den großen Debatten der Neunzigerjahre.

Das Thema ist heiß umstritten – trotz einer Reihe klärender Vorarbeiten, zum Beispiel Norbert Freis Studie zur Vergangenheitspolitik nach 1945. Diesen vor allem politischen Kontroversen sind die Ausstellungsmacher so weit wie möglich aus dem Weg gegangen. Dem ganzen Prozess der Wiedergutmachung, der sich schrecklich hinzog und mit vielerlei Demütigungen für die Opfer verbunden war, werden nur wenige Zeilen gewidmet. Fünf Dokumente stehen eindrucksvoll für die Entschädigungsforderungen von Josef Chotzen, dessen Familienschicksal die Ausstellung leitmotivisch verfolgt. Was hingegen das Orginal des Luxemburger Abkommens mit Israel beziehungsweise dem Jüdischen Weltkongress zur Aufklärung beitragen soll, bleibt unerforschlich.

Der Kampf der Studentenbewegung gegen das Schweigen der Väter zum NS-Regime kommt überhaupt nicht zur Sprache, sieht man von der Erwähnung des Werks „Die Reise“ von Bernward Vesper ab. Dafür wird das große Interesse am Schicksal der Opfer, das zu Ende der Siebzigerjahre einsetzte, mit einer allzu unkritschen Darstellung der „Holocaust“-Serie des amerikanischen Fernsehens dokumentiert. Wie sich Initiativen und Geschichtswerkstätten mit der Alltagsgeschichte der Nazi-Zeit auseinandersetzten, findet dagegen nur marginale Beachtung.

Was vollständig fehlt, ist ein Zusammenhang zwischen der Welle rechtsradikaler Gewalt in Deutschland und unserem gegenwärtigen Verständnis des Mordes an den Juden. Dies ist umso erstaunlicher, als der verantwortliche Ausstellungsmacher Burkhard Assmuss anlässlich der Präsentation versicherte, die große Demonstration vor dem Brandenburger Tor im September 2000 sei der Anstoßpunkt für die Ausstellung gewesen. Es hätte dem Ausstellungsteam gut angestanden, gerade die Chronik vom Düsseldorfer Attentat bis zum Ende des Jahres 2000 als „Motiv der Erinnerung“ aufzugreifen, statt sich mit einem überdimensionierten Modell der geplanten Holocaust-Mehnmals samt den sie begleitenden Peinichkeiten zufrieden zu geben.

Erfreulicherweise ist der Auseinandersetzung um die Entschädigung der Zwangs- und Sklavenarbeiter ein eigenes Unterkapitel gewidmet worden. Auch hier hat allerdings die Zahlungsverweigerung vieler Unternehmen keine Erwähnung gefunden. Nicht einmal der letzte, flehentlich-dringliche Bettelbrief der Stiftungsinitiative ist ausgestellt worden, geschwige dann die Listen der zahlungsunwilligen Firmen. Dem Streben nach Harmonisierung fiel auch der Streit zwischen jüdischen und osteuropäischen Organisationen zum Opfer. Hier geht es um materielle Anerkennung, mehr aber noch um die Anerkennung der Würde als Opfer, die den jüdischen wie den nichtjüdischen Zwangsarbeitern zusteht. CHRISTIAN SEMLER