Vier Popper und ein armer Irrer

„Hast du ein paar Uppersfür mich? Ich würde mich wirklich freuen, das würde mir nämlich beim Schreiben helfen.“

von JENNI ZYLKA

There’s a world where I can go and tell my secrets to / In my room, in my room / In this world I lock out all my worries and my fears / In my room, in my room In My Room“; 1963

In seinem Raum ist es dunkel und stickig. In der Mitte steht ein ungemachtes Himmelbett mit geschnitzten Putten am Kopfteil, davor ein großer Fernseher, aus der Ecke plärrt ein Radio. Auf dem Boden liegen abgenagte Steakknochen, Keksschachteln, Klamottenhaufen, Koksreste. Und im Bett liegt ein vollbärtiger Mann, der fast 120 Kilo wiegt.

Den Raum betreten Mitte der Siebziger, als Brian Wilson sein Bett ein paar Jahre lang kaum mehr verließ, Dan Aykroyd und John Belushi. Sie drehen einen Sketch für „Saturday Night Live“: Als Polizisten verkleidet, klagen sie Wilson an, gegen die Surf-Verordnung verstoßen zu haben, weil er – als Kalifornier! – nie surfe, und schleppen ihn in seinem fleckigen Bademantel, der über dem schwabbeligen Bauch auseinander klafft, an den Strand. „There’s your wave, Mr. Wilson!“, sagt Belushi und zeigt aufs Wasser. Dort hinein hoppelt Wilson mit seinem Surfbrett und paddelt hilflos herum. Er schafft es nicht aufs Brett. Er hasst Surfen, er hasst Wasser.

Brian Wilson ist 1975 längst nicht mehr der Beach Boy, der bei „Surfin Safari“ oder „California Girls“ souverän die zweite Stimme singt, Bass spielt, „die Jungs“ – seine beiden jüngeren Brüder Carl und Dennis, seinen Schwager Mike Love und den ehemaligen Folksänger Al Jardine – durch seine Songs dirigiert.

Er hat in den Sechzigern innerhalb von drei Jahren sieben Beach-Boys-Alben nahezu allein produziert. Auf „Pet Sounds“, das 1966 noch vor dem Beatles-Album „Revolver“ herauskommt, hat er den Harmoniegesang des Surfsounds, den die Beach Boys perfektioniert hatten, über süße und schlaue Prä-Pop-Arrangements gelegt, die zwar immer noch Fun-Fun-Fun und Dur sind, sich aber zu einem modernen musikalischen Psychedelic Trip verkomplizieren. Wilson hat dem Album einen Ton beigemischt, der es mit Macht nach vorne schleudert – sogar vor „Revolver“. „Smile“, die „Pet Sounds“-Nachfolgeplatte der Beach Boys dagegen – noch voluminöser, durchdachter, psychedelischer und waghalsiger – wurde nie offiziell veröffentlicht. Denn Wilson, der Music-Maniac, der in seinem bislang 60-jährigen Leben vermutlich 40 Jahre Realzeit mit Klavierspielen zubrachte, zerbrach an dem schwer zu greifenden Phänomen der angekratzten Künstlerseele. Angekratzt durch brutale Kindheitserlebnisse mit dem prügelnden Vater und Manager in Personalunion, Murry Wilson, und durch massive Selbstzweifel als Mensch und Musiker.

Now it’s dark and I’m alone / But I won’t be afraid / In my room, in my room

Die Beach Boys waren vier Popper und ein Irrer. Die Popper hatten zwar auch Probleme – Schlagzeuger Dennis Wilson starb infolge seiner langen Drogenkarriere 1983 –, aber Wilson war der Wahnsinnige. Der in einer eigenen, merkwürdig eindimensionalen, aber voll tönenden Musikwelt lebte und immer noch lebt, wie er in Christoph Drehers Dokumentation „Die Beach Boys und der Satan“ von 1997 freundlich erzählt. Der in einer Filmszene aus den frühen Siebzigern so entrückt am Klavier sitzt und „Surf’s Up“ spielt, dass man ihn nicht mehr erreichen kann.

Wilson ist leicht zu durchschauen und zugleich überhaupt nicht zu fassen. Allein sein Gesicht: Anfang der Sechziger ist es glatt, sportlich, mit der Anlage zum Dickwerden – das Gesicht eines aufstrebenden Full-Time-Highclass-Musikerbubis. Dann wird es konturenlos, nicht nur wegen der zunehmenden Leibesfülle; der Ausdruck schwindet. Auf Fotos aus den Siebzigern wirkt er weggetreten, abweisend und naiv, wie ein kleines, zurückgebliebenes Kind. Sexy wie die frühen Stones, cool wie die Kinks oder gar smart wie die Beatles war er nie.

Irgendwo zwischen „I Get Around“ und „I Still Dream of It“ – einem unveröffentlichten Stück, das Wilson in den Siebzigern in seinem schmuddeligen Klavier-Schlafzimmer komponierte und das einem durch die wiederum unglaublichen Arrangements und seine kaputte, teilweise wegbrechende, anrührende Stimme das Herz zerreißt – ist er verrückt geworden.

Das Oui-Magazin führt 1976 ein Interview, in dem Wilson, unnatürlich ehrlich wie immer, von seinen Drogenproblemen, seinen Selbstzweifeln erzählt. Er fragt den Interviewer: „Hast du ein paar Uppers für mich?“ – „Du darfst doch keine Drogen nehmen“, sagt der. „Aber kannst du mir nicht welche besorgen?“, fragt Wilson. „Ich würde mich wirklich freuen, das würde mir nämlich beim Schreiben helfen.“ – „Nach dem Interview“, sagt der Reporter.

Wilson macht dann eine Therapie bei dem Therapeutenguru Dr. Eugene Landy, eine krude Mischung aus Körper-, Gesprächs- und Psychotherapie, bei der der Patient seinem Arzt vollkommen unterstellt ist. Bevor sie zu Ende ist, muss er jedoch abbrechen: „Die Jungs“, schreibt er in seiner Biografie „Mein kalifornischer Alptraum“ von 1991, brauchen ihn wieder als Komponisten, Texter, Arrangeur, Livemitspieler. Nur deshalb, schreibt Wilson, hält er den Tourstress nicht durch. Er versinkt in einem noch tieferen, morastigeren und lebensbedrohlicheren Drogensumpf, die Beach Boys feuern ihn 1982. 1984 wird er offiziell als manisch-depressiv und paranoid-schizophren eingestuft. Hinzu kommen durch exzessiven Drogenkonsum ausgelöste Gehirnschäden.

Wieder konsultiert er Dr. Landy. Wieder hilft der ihm heraus und in eine neue Abhängigkeit hinein: Wilson – ein paar Jahre und Erfahrungen später, schlank, mit Jeff-Bridges-Lächeln und komplett übertherapiert – bringt 1988 seine erste Soloplatte heraus: „Brian Wilson“. Co-Songschreiber und Mastermind: Dr. Eugene Landy. Ein furchtbares Album. Die Arrangements sind geniale Wilson-Coups, die Texte klingen jedoch wie von The Lords geschrieben: sie untertreffen noch den banalsten Girls-Fun-Cars-Surf-Klopper aus den Sechzigern. „Nighttime is delight time, it’s starlight time, it’s the right time“, holpert Wilson zu uneleganten [4]/4-Rhythmen. Schäbige DX7-Sounds verkleistern den Hintergrund. Seine Plattenfirma lehnt eine zweite Soloplatte ab; und dass die Rest-Beach-Boys im gleichen Jahr mit „Kokomo“ einen Charts-Hit haben, gibt ihm den Rest. Davon erzählt er in Drehers Doku, vergreift sich ab und an, wenn er zur Illustration Akkorde anspielt, und hat diesen gleichzeitig weisen und naiven Gesichtsausdruck. Ein Junge, oder ein fast 60-jähriger Mann? Talent oder Wahnsinn?

Nach 1990 trennt sich Wilson von seinem Psychiater und versucht, sein Leben allein zu regeln. Er hat mit seiner zweiten Frau zwei Kinder, arrangiert sich mit seinen beiden (singenden) Töchtern aus erster Ehe und veröffentlicht 1998 das Soloalbum „Imagination“, das prima Kritiken bekommt. In einem Observer-Interview erzählte er kürzlich von seinem aktuellen writer’s block, seiner Schreibblockade, bedingt durch sein friedliches und relativ glückliches Leben: Er brauche die Dämonen, um Songs zu schreiben. Aber eigentlich brauchte Brian Wilson überhaupt keine Songs mehr zu schreiben. Er ist ja schon ein Genie.

Do my dreaming and my scheming / Lie awake and pray / Do my crying and my sighing / Laugh at yesterday / In my room, in my room

Heute: Hamburg, CCH; morgen: Berlin, ICC