„Die Macht will gepackt werden“

Ernst Jünger griff die Weimarer Demokratie in seiner politischen Publizistik gehässig an. Wer daran noch zweifelte, kann es jetzt ausführlich nachlesen

Kaum ein Literat hat die Demokratie so erfolgreich bekämpft wie Ernst Jünger

von CLAUS LEGGEWIE

Der Krieg, schrieb Ernst Jünger 1922, sei „nicht das Ende, sondern der Auftakt der Gewalt. Er ist die Hammerschmiede, in der die Welt in neue Grenzen und neue Gemeinschaften zerschlagen wird.“ Er schreibt den alten Satz Heraklits vom „Krieg als Vater aller Dinge“ fort und wird darin auch von der soziologischen Theorie bestätigt: Mächtig haben Kriege den sozialen Wandel angestoßen – darunter die Demokratie des 20. Jahrhunderts. Darauf allerdings wollte Jünger bekanntlich nicht hinaus: „Neue Formen wollen mit Blut erfüllt werden, und die Macht will gepackt werden mit harter Faust. Der Krieg ist eine große Schule, und der neue Mensch wird von unserem Schlage sein.“ Das war eine Kampfansage an die „Novemberrepublik“, nicht metaphorisch, sondern wörtlich gemeint: „Man sagt, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei – aber der beste Vater des Krieges ist der Bürgerkrieg.“

Kaum ein deutscher Schriftsteller rückte das existenzielle Erlebnis des Krieges so in den Mittelpunkt seines Werks wie Jünger, und kaum ein Literat hat die Demokratie so erfolgreich bekämpft, mit der Feder als Schwert. 1920 erschien das Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“, danach der Essay „Der Krieg als inneres Erlebnis“, gefolgt vom Fortsetzungsroman „Sturm“ und etlichen anderen Werken bis zu seinem „anarchistischen Manifest“ „Die totale Mobilmachung“ 1931.

Jünger betrachtete, wie er seinem Bruder mitteilte, „literarische Tätigkeit als Kriegsmittel“. Die Grenzen zur politischen Publizistik, die er parallel zwischen 1919 und 1933 verfasste, sind fließend. Da sie bisher nicht gesammelt vorlag, haben sich die Bewunderer Ernst Jüngers immer darauf hinauslesen können, der Literat habe sich nur als „Seismograf“ des Erdbebens betätigt und nicht selbst an den Grundfesten der Demokratie gerüttelt. Auch der Politikwissenschaftler Sven Olaf Berggötz, Herausgeber der endlich im Hausverlag Jüngers erschienenen politischen Schriften bis 1933, hält die überkommene Trennung aufrecht, und er etikettiert Jünger allen Ernstes als einen „zornigen jungen Wilden“ à la Friedrich Schiller und Peter Handke: „… ein im Grunde unpolitischer Mensch, der im Wesentlichen utopische Vorstellungen vertrat. Er hatte wenig Ahnung von den politischen Realitäten im modernen Staat, blendete beispielsweise die Wirtschaft bei all seinen Überlegungen völlig aus, blieb wirr und unklar in seinen vielen Ideen – sowohl im Hinblick auf den von ihm ersehnten Umsturz wie hinsichtlich dessen, was danach kommen sollte.“ Jüngers Kampf gegen die Demokratie zeige „die Anfälligkeit der konservativen Eliten für den Nationalsozialismus“ und man werde ihn nicht wegen seiner politischen Publizistik lesen, sondern „aufgrund der Bedeutung seines literarischen Werkes“.

Bewunderer von Karl Heinz Bohrer bis Frank Castorf haben bei ihren Attacken auf die Mittelmäßigkeit der bürgerlichen Politik und westlichen Kultur den „jungen Wilden“ stets im Sturmgepäck, dem die „Verwesung“ des Bürgers Spaß machte und der dem Nationalsozialismus „von Herzen“ den Sieg wünschte. Das gefiel schon einem Johannes R. Becher und verlangte sogar Klaus Mann Respekt ab: „Seinen Gaben nach gehört er zu uns.“

Gehört er nicht. Die Edition verbietet solche Ausreden. Sie ist von Berggötz (Jg. 1965) ausführlich und kenntnisreich kommentiert, unter Einbeziehung des Nachlasses. Überraschendes findet man unter den 144 Beiträgen kaum; man bekommt vielmehr jene Artikel zu lesen, die Jünger nicht in die von ihm selbst edierten „Sämtlichen Werke“ aufnehmen wollte. Sie waren allerdings bislang schon in kompilierter Form in dem 1995 veröffentlichten Brevier von Bruno W. Reimann und Renate Haßel nachzulesen. Berggötz würdigt diese Arbeit mit keinem Wort.

Sein Band versammelt nun auf über 600 Seiten Jüngers Vorworte zu seinen Büchern und Sammelbänden („Finanzierungsschinken“) sowie militärfachliche Beiträge aus der Zeit zwischen 1919 und 1923, als Jünger Offizier der Reichswehr und ein glühender Bewunderer des Generals Ludendorff und der Putschisten war, ferner einige Rezensionen.

Das Gros der Beiträge stammt aus den Jahren 1924 bis 1927, der kurzen Blütezeit der Weimarer Republik, die Jünger, nunmehr Student in Leipzig, „gehässig, systematisch, unerbittlich“ anfeindete. Protestiert werde nicht in Vortragsreihen oder Büchern, gab Jünger 1926 als Parole aus, sondern „sehr sachlich und nüchtern mit Handgranaten und Maschinengewehren auf dem Straßenpflaster“. Publiziert wurden solche Töne zunächst in der Standarte. Beiträgen zur geistigen Vertiefung des Frontgedankens, die Jünger mit herausgab und sich als Wochenschrift des neuen Nationalismus vom „Stahlhelm“, dem Bund der Frontsoldaten, abspaltete. Als das Blatt 1926 verboten wurde, trat Arminius an dessen Stelle, eine im unmittelbaren Umfeld des Nationalsozialismus operierende Kampfschrift, von dem Freikorpsführer Hermann Ehrhardt beeinflusst und von Gönnern aus der Industrie finanziert. Hier hatte Jünger also direkt mit den Mördern Walther Rathenaus zu tun; kongenial agitierte er im Völkischen Beobachter und Blättern der rechtsradikalen Jugend (u. a. Widerstand, Das junge Volk).

Die Zusammenschau der bisher verstreuten Schriften erlaubt keineswegs, den Literaten vom Pamphletisten zu trennen – vom völkischen Radikalen, der die NSDAP rechts überholen wollte, und vom Antisemiten, dem der Judenhass der Nazis zu gefühlsbetont war. Dabei ist es nicht so wichtig, wie nah der Salonfaschist Jünger den NS-Führern stand, die ihn lange umworben hatten. Viel wesentlicher ist, dass Jünger eine jüngere Generation „heroischer Realisten“ motivierte, die in geistig ihm verwandtem Habitus die SS aufbauten.

„Heroischer Realismus“ lautete denn auch der Titel eines Aufsatzes in der Literarischen Welt von 1930. Autor war Werner Best, den Berggötz als „späteren SS-Ideologen“ bezeichnet. Dabei baute dieser furchtbare Jurist die Gestapo auf und wurde ein Technokrat des Judenmordes, der mit der von Jünger am Soldaten und Arbeiter gefeierten Kombination von Sachlichkeit und Heldentum Ernst machte. Solch einen Schritt tat Jünger nicht, aber seine ganze Sympathie galt der „Jugendbewegung der Tat“, etwa dem „Bund Artam“, Freiwilligen, die einen einjährigen Landdienst absolvierten. Unter Heinrich Himmler und „Reichsbauernführer“ Darre waren die Artamanen eine Kaderschmiede der SS.

Ernst Jüngers Distanz zum Nationalsozialismus nach 1927 wuchs nicht dank besserer Einsicht, sondern zunächst nur, weil sich die NSDAP aus taktischen Gründen von der Landvolkbewegung absetzte, als sie im September 1929 vor dem Reichstag eine Bombe hochgehen ließ. Jünger wertete das Verhalten der Nazis als Verrat: „Es ist die erste praktische Bewegung, an der ich wirklich Anteil nehme“, und ihre Arbeit bringe wenigstens den „verborgenen bürgerlichen Kern (der Nazis) ans Licht“. Das ist der Duktus der Briefe, der Pamphlete und auch des literarischen Frühwerks: stets gehässig und von krankhafter Selbstüberschätzung, zuweilen pedantisch wie der Kassenwart eines Soldatenvereins. Der hier in nicht „entschärfter“ Form abgedruckte Text „Die Totale Mobilmachung“ mag streckenweise „brillant“ (Paul Noack) formuliert sein. Das ist aber kein Kriterium angesichts der Invektiven gegen den (von seinen früheren Spießgesellen!) ermordeten Rathenau und die „jüdischen Intelligenzen“.

Schneller als Carl Schmitt und Martin Heidegger verlor Jünger die Lust am Nationalsozialismus; er verließ Berlin in Richtung Goslar und dann wieder an die Front. Ihn zum Widerstandskämpfer zu stilisieren ist ebenso verfehlt, wie es seine Erhebung zum Vordenker der Vernichtung war. Man wundert sich aber, welches (als Philologie getarnte) Vergnügen solche Texte bei der Jünger-Gemeinde und stellenweise auch im Feuilleton auslösen. An ihrer literarischen Qualität kann es jedenfalls nicht liegen. Die politischen Schriften sind ein erneuter Beleg für die Zerstörung der deutschen Demokratie durch die „konservative Revolution“, und ungenießbar sind sie, weil Ernst Jünger mit keinem Wort kritischer Selbstreflexion auf sie zurückgekommen ist. Die vorsichtige Kommentierung durch Berggötz macht die Neuauflage von Reimann, trotz seiner Neigung zu Tiraden und Rundumschlägen, nicht überflüssig.

Ernst Jünger: „Politische Publizistik 1919–1933“. Hg. S. O. Berggötz, Klett-Cotta, Stuttgart 2001, 898 S., 50 €ĽBruno W. Reimann: „ ‚… die Feder durch das Schwert ersetzen …‘ Ernst Jüngers politische Publizistik 1923 bis 1933“. BdWi-Verlag, Marburg 2001, 256 S., 18 €