Berliner Gericht stoppt Rasterfahndung

Schallende Ohrfeige für Berliner Sicherheitsbehörden: Landgericht erklärt die Datenerfassung von Studenten aus Algerien und dem Sudan für unzulässig. Die rechtlichen Voraussetzungen für Rasterfahndung seien nicht erfüllt

BERLIN taz ■ Das Landgericht Berlin hat gestern die Rasterfahndung nach möglichen „Schläfern“ islamistischer Organisationen in Berlin für rechtlich nicht zulässig erklärt. Das Gericht folgte damit der Beschwerde zweier Sudanesen und eines Algeriers. Es hob die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten auf, mit denen Ende September und Ende Oktober die Rasterfahndung auf Antrag des Berliner Polizeipräsidenten angeordnet worden war.

Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die Berliner Sicherheitsbehörden. Denn dem Gericht zufolge werden die gesetzlichen Bestimmungen zur Übermittlung personenbezogener Daten und deren computergestützter Abgleich schlicht nicht erfüllt. Die Polizei, so das Gericht, könne eine Rasterfahndung nur dann verlangen, „wenn sie eine gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Leib oder Freiheit einer Person abzuwehren hat“. Eine solche Gefahr sei vom Polizeipräsidenten aber „weder dargelegt“ worden noch sei sie „sonst ersichtlich“.

Das Gericht stützte sich auch auf Aussagen der Bundesregierung. Diese habe seit Ende September stets darauf hingewiesen, es gebe keine Anzeichen, „dass die Verübung terroristischer Gewalttaten in der Bundesrepublik bevorstehe“.

Gegen die Rasterfahndung hatten außer den Sudanesen und einem Algerier, die an der Humboldt-Uni Sozialwissenschaften und Biologie studieren, auch der Asta und die Universität selbst Beschwerde eingelegt.

Übermittelt werden sollten vor allem die Daten ausländischer Studenten, die sich legal in Berlin aufhalten, allein stehend, mehrsprachig und vermutlich islamischen Glaubens sind. Diese Informationen sollten mit Angaben der verschiedenen Landesbehörden, der Energieversorger, des Personennahverkehrs und aller Berliner Fluggesellschaften sowie anderer sicherheitsrelevanter Unternehmen abgeglichen werden. Die Beschwerde des Asta wurde aus formalen Gründen verworfen.

Die Entscheidung des Berliner Gerichtes erstreckt sich nur auf das Bundesland Berlin. Die Folgen des Berliner Urteils reichen dennoch über die Landesgrenze hinaus. Nach den Worten von Rechtsanwalt Sönke Hilbrans, einem der Anwälte der Studenten, müssen die bisher in Berlin erhobenen Daten gelöscht werden – ebenso wie mögliche beim Abgleich der Daten erlangten Erkenntnisse. Darüber hinaus dürften die Daten weder an andere Polizei-, Geheimdienst- oder sonstige Strafverfolgungsbehörden im In- und Ausland weitergegeben werden. Daten und Auswertungsergebnisse, die möglicherweise schon weitergegeben wurden, müssten nun ebenso gelöscht werden.

Der Berliner Innensenator Erhart Körting (SPD) sagte der taz, er halte den Beschluss des Gerichts für „rechtlich schlichtweg falsch“. Bis zu einer Überprüfung durch eine höhere Instanz will er im Fall der drei Studenten auf die Rasterfahndung verzichten, im übrigen bleibe „die Praxis wie bisher“. Sein Argument: die Terrororganisation al-Qaida habe auch nach 11. September weitere Anschläge angekündigt – und damit bestehe eine „gegenwärtige Gefahr“. WOLFGANG GAST