Original ist besser

Cameron Crowe hat mit dem stargespickten Film „Vanilla Sky“ das spanische Verwirrspiel „Abro los Ojos“ gecovert

Bei Oma lag immer die HörZu. Und wenn man von hinten begann zu blättern, stieß man sofort auf „Original und Fälschung“: Ein halbwegs berühmtes Bild aus den Museen der Welt war zweimal abgedruckt – einmal originalgetreu, einmal mit ungefähr einem Dutzend Fehler versehen. So ließ sich ein Nachmittag bei Oma überstehen.

Jetzt im Kino: „Original und Fälschung“ als Film. Denn dankenswerterweise versorgen uns die Verleiher zeitgleich mit Urfassung und Remake. Heute startet nicht nur „Vanilla Sky“, das neue Werk des amerikanischen Kritikerlieblings Cameron Crowe mit Tom Cruise in der Hauptrolle, sondern auch dessen fünf Jahre ältere Vorlage „Abre los Ojos“ des spanischen Regisseurs Alejandro Amenábar, der seit wenigen Wochen in seiner ersten Hollywood-Produktion „The Others“ Nicole Kidman, die Exfrau von Cruise, durchs Spukhaus hetzt.

Crowe rekapituliert fast sklavisch die Szenenfolge des spanischen Originals: Reicher Jungverleger verstößt während seiner 33. Geburtstagsfeier bisherige Gespielin und verliebt sich in Penelope Cruz, die in beiden Fassungen dieselbe Rolle spielen darf. Am nächsten Morgen lotst ihn die Verschmähte ins Auto und fährt anschließend durch Leitplanke in den Tod. Jungverleger überlebt mit übel entstelltem Gesicht, verliert die Liebe seines Lebens und findet sie wieder. Doch längst begonnen hat ein Verwirrspiel aus Träumen und Illusionen, Wahnvorstellungen und Wahrheitssuche, Schein und Sein, Paranoia und Verschwörungstheorien, bis Jungverleger schließlich in der Psychatrie landet. Dort entpuppt sich die Geschichte, die er dem Seelendoktor erzählt, als Sci-Fi-Märchen, in dem Realität und Wunsch eins geworden sind. Nichts war, wie es schien. Oder vielleicht war es auch ganz anders? Und: Was wird sein, wenn die Realität nur eine Illusion ist?

Mit der Aufforderung „Abre los Ojos!“ – „Öffne die Augen!“ – beginnt Amenábars Film, der eher indifferent seinem Protagonisten folgt, als den Zuschauer in die Identifikation zu drängeln. Die Liebesgeschichte scheint nur Aufhänger für den kafkaesken Psychothriller, das Leben des von Eduardo Noriega gespielten Cesar dient vor allem als Projektionsfläche, auf der theoretische Überlegungen von Virtualität und Wahrhaftigkeit durchgespielt werden. Das Original interessiert sich vor allem für seine kunstvoll verschränkten Zeit- und Bedeutungsebenen, für die Macht des Blicks und die Vormachtstellung des Visuellen.

Crowe hat die Handlung von Madrid nach New York verlegt, den Protagonisten (außer der Rolle von Cruz) neue Namen gegeben, sie mit Tom Cruise, Cameron Diaz und Kurt Russell ungleich prominenter besetzt und kümmert sich etwas detailreicher um die Wechselwirkungen von Mitleid und Liebe, Freundschaft und Solidarität. Sonst ist vieles beim Alten: Crowe hat nicht nur den verwickelten Plot nahezu identisch umgesetzt, sondern auch einen gut Teil der Dialoge übernommen.

Die Unterschiede sind marginal: Cruise interpretiert den nun David geheißenen Jungmillionär Sympathie heischender als Noriega; in Madrid werden Tequilagläser auf den Tisch gehauen, in L.A. einfach gesoffen; bei Amenábar zeigt Cruz ihren nackten Busen, im Remake natürlich nicht.

Dennoch hat Crowe einen leicht launigeren, ironisierenden Ton gewählt und macht aus der im Original nur in Nebensätzen angedeuteten Verschwörung der Geschäftspartner des Helden eine konkrete Bedrohung. „Vanilla Sky“ ist der Prototyp des Remakes: ein nur wenig modifizierter, leicht spektakulärerer Aufguss, der sich auf erhöhte Starpower und viel Geld verlässt.

Crowes Handschrift dagegen, seine Faszination für Pop-Phänomene wie in „Almost Famous“ oder „Singles“ und sein in „Jerry Maguire“ bewiesenes Talent, sich innerhalb der Spielregeln Hollywoods zu bewegen und gleichzeitig einen kritischen Blick hinter das Unterhaltungsgeschäft zu werfen, ist nur selten wiederzufinden. Davids Traumwelt ist zusammengesetzt aus Zitaten von Plattencovern, Songtexten und Filmszenen. Aus geigenschwerer Musik wird bei Crowe ein Soundtrack aus R.E.M., Bob Dylan und Jeff Buckley. Ansonsten baut Crowe auf die Strahlkraft der verwickelten, sich ständig in Frage stellenden Geschichte und die hübschen Gesichter seiner Hauptdarsteller.

Crowe ist auf jeden Fall der glattere, leichter konsumierbare Film gelungen, vielleicht ja sogar der bessere, eine, wie er es selbst nennt, „Coverversion eines großartigen Songs“. Die Frage aber bleibt: Waren die homöopathischen Veränderungen an einem an sich schon ziemlich perfekten Objekt den millionenschweren Aufwand wirklich wert, nur um einen Nachmittag lang wieder mal Original und Fälschung spielen zu können? THOMAS WINKLER

„Vanilla Sky“. Regie & Buch: Cameron Crowe. Mit Tom Cruise, Penelope Cruz, Kurt Russell, Cameron Diaz, Jason Lee, Noah Taylor u. a., USA 2001, 130 Min.„Abre los Ojos“. Regie: Alejando Amenábar. Mit Eduardo Noriega, Penelope Cruz, Chete Lera, Fele Martinez u. a., Spanien/Frankreich 1997, 117 Min.