Eine literarische Gralssuche

■ Neu im Kino: „Thomas Pynchon – a journey into the mind of p.“ von den Brüdern Dubini. Der Hypertext wuchert

Er ist berühmt dafür, nicht berühmt sein zu wollen. Thomas Pynchon ist der heilige Gral der amerikanischen Kulturszene. Wie J. D. Salinger verschwand er aus dem öffentlichen Leben, es gibt von ihm nur die Romane und ein paar uralte Bilder. Über ihn gibt es aber gerade deshalb soviele Internetseiten wie über keinen anderen Schriftsteller, sowie eine Vielzahl von Gerüchten, Anekdoten und Verschwörungstheorien.

Der Hypertext hat Pynchons Originaltexte längst überwuchert, und so ist es nur konsequent, wenn in dem Dokumentarfilm „Thomas Pynchon – a journey into the mind of p.“ von Fosco und Donatello mehr Webmaster als Literaturkritiker zu Wort kommen, und sie auch interessanter vom Pynchon-Phänomen erzählen können.

Der Titel ist zwangsläufig irreführend, denn wirklich nahe kommen wir Thomas Pynchon hier nicht. Wenn der Film sich in diese Richtung bewegt und beginnt zu menscheln, droht er sogar langweilig zu werden: Eine ehemalige Freundin erzählt von ihrer Zeit mit ihm in den 70ern und findet sogar das Haus am Strand von Südkalifornien, in dem die beiden gelebt haben. Er hat seinem besten Freund die Frau ausgespannt, trug immer Jeans, war dünn und blass – solche banale Wahrheiten wollen wir gar nicht wissen. Viel interessanter ist da die „Pynchonmania“, und der widmen sich die Filmemacher auch über lange Strecken des Films.

So ist er eher „a journey into the myth of p.“. Über Pynchons Verschwinden aus der Öffentlichkeit 1963 in Mexico City sind gleich dutzendweise Theorien gesponnen worden so wie Pynchon in die Verschwörungen, von denen er schreibt, selbst versponnen gewesen ist, etwa soll er bei der Entwickung und Verbreitung von LSD durch den CIA mitgearbeitet haben. Nichts Genaues weiß niemand, aber gerade deshalb ist der Film sehr unterhaltsam, denn jeder Pynchonexperte fabuliert hemmungslos ins Blaue hinein.

Filmisch versuchen die Dubini-Brüder eine pynchoneske Atmosphäre zu schaffen, mit vielen grobkörnigen Bildern von Autofahrten und Stadtlandschaften, Archivmaterial in schwarzweiß, in dem Pynchon mit anderen conspiracy-stars wie Timothy Leary, Werner von Braun und Lee Harvey Oswald zumindest optisch zu einem konspirativen Zirkel zusammen geschnitten wird, und dazu spielt die Band „The Residents (die ähnlich geheimnisvoll nur maskiert auftritt) bekannte Hits aus den 60ern als eine kaum noch durchschimmernde Geistermusik. Die paar Bilder aus den späten 90er Jahren, von denen ein Fotograf und CNN behaupten, auf ihnen wäre Pynchon zu sehen, stellt der Film in einem spannend inszenierten Finale vor.

Aber je genauer man hinsieht, desto verschwommener und zweifelhafter werden diese angeblichen Gralsfunde. Natürlich ist das, wie alle Kulte, auch extrem lächerlich, und die Dubini-Brüder sind zum Glück nicht so pynchoman, dass sie nicht den Irrwitz sehen und zeigen können: Da erzählen „Augenzeugen“ haarklein, wo sie Pynchon angeblich gesehen haben: immer grotesk verkleidet und bei Blickkontakt hektisch flüchtend. Da wird von einem Thomas-Pynchon-Lookalike-Contest berichtet, bei dem er natürlich auch aufgetaucht sein soll. Und da wird schließlich die Theorie aufgestellt, die die Gralssuche in einen großen Witz verwandeln würde: Vielleicht ist Pynchon ja nur verschwunden, weil er sich für seine Bugs-Bunny-Zähne schämte. Wilfried Hippen

„Thomas Pynchon – a journey into the mind of p.“ läuft mit Untertiteln von heute bis Samstag um 18.30 Uhr sowie So. & Mo um 20.30 Uhr im Kino 46