Pierre Bourdieu ist tot

Der bedeutendste französische Soziologe Pierre Bourdieu ist im Alter von 71 Jahren gestorben. Der Theoretiker der feinen Unterschiede galt als einer der führenden Köpfe der Globalisierungskritiker

BERLIN taz ■ Pierre Bourdieu, der große französische Soziologe und Theoretiker der Macht, ist tot. Am Mittwoch starb er im Alter von 71 Jahren in einem Pariser Krankenhaus an Krebs. Geboren wurde er 1931 in dem Ort Denguin in den Pyrenäen. Seit 1981 war der Star der Pariser Intellektuellenszene Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie am berühmten Collège de France.

Sein Rang als einer der weltweit bedeutendsten Gesellschaftsforscher der Gegenwart war unbestritten. Was allerdings keineswegs für die politischen Folgerungen galt, die Bourdieu zuletzt aus seinen wissenschaftlichen Analysen gezogen hat.

Spätestens seit Mitte der Neunzigerjahre hat sich der Soziologe im Kampf gegen die von ihm analysierten neoliberalen Tendenzen in Politik und Wirtschaft engagiert. Als Intellektueller versuchte er den gesellschaftskritischen Impuls der neu entstehenden sozialen Bewegungen aufzunehmen. Es ging ihm um eine Verteidigung des europäischen Sozialstaates – dessen Errungenschaften er als „so unwahrscheinlich und so kostbar wie Kant, Beethoven, Pascal und Mozart“ bezeichnete. Seine Sympathien galten der globalisierungskritischen Bewegung Attac. In diesem Bemühen hat Bourdieu eine große öffentliche Wirkung erzielt. Als er im Mai 2000 im Audimax der Berliner Humboldt-Universität auftrat, hörten ihm, dem komplex formulierenden Sozialwissenschaftler, über tausend Menschen zu. Um dieser Wirkung willen nahm er es in Kauf, als „Guru der linken Intellektuellen“ bezeichnet zu werden.

Seine zentrale wissenschaftliche Fragestellung bestand in der Analyse von Herrschaftsstrukturen. Genauer: Sie bestand darin, zu analysieren, wie Herrschende auf Beherrschte Macht ausüben, ohne Gewalt anwenden zu müssen. In seinem bekanntesten Werk, dem soziologischen Klassiker „Die feinen Unterschiede“, hat er untersucht, wie scheinbar unpolitische Einzelheiten zur Waffe im Kampf um diese gesellschaftliche Macht werden können. In den Details einer bürgerlichen Wohnzimmereinrichtung erkannte er etwa den unbedingten Willen zur sozialen Überlegenheit.

Die Wirkung dieser Thesen auf die Soziologie ist immens. Über die Begriffe des Distinktionsgewinns und des sozialen Kapitals sind diese Erkenntnisse auch längst in den aktiven Sprachgebrauch vieler nichtakademischer Gesellschaftstheoretiker sowie Leitartikler übergegangen. DRK

SEITEN 3 und 4