AAAARGH! RESURRECTION!!!

Stumpf ist Trumpf: Scooter, der erfolgreichste deutsche Dance-Act der letzten Dekade, sammelt seine Top-Ten-Notierungen gleich im Dutzendpack. Für die Sensibleren im Lande ein Albtraum ohne Ende

von CORNELIUS TITTEL

To the beat now! Super … Has everybody got the breath back? Once again we’re gonna party!!! WOW!! ! Gothic doesn’t exist!! Thank you … (Scooter, „Fuck The Millennium“)

Ausgerechnet Hannover. Vielleicht muss eine Story wie diese tief unten in den Eingeweiden der alten BRD beginnen. Dort, wo Konsequenz und Cleverness, gesundes Mittelmaß und der unbedingte Wille zum Erfolg eine Allianz bilden, die seit jeher Menschenmassen an Wahlurnen und CD-Wühltische treibt. Man denke an Schröder und die Scorpions, die prominentesten Propagandisten des hannoverschen „Scheiße schwimmt oben“-Prinzips: Wer es als Hannoveraner wirklich wissen will, kann es – den fauligen „Wind of Change“ im Rücken – weit bringen.

Scooter könnten, trotz Umzug nach Hamburg, ein Lied davon singen. Stattdessen stehen sie in ausverkauften Hallen und brüllen Sachen wie „Love,Peace and Unity / Sibiria the place to be“. Jahr für Jahr, Hit für Hit. Und all die Leute, die man niemals kennen lernen wird, lieben sie dafür. 10 Millionen verkaufte Tonträger machen sie zum erfolgreichsten deutschen Act des letzten Jahrzehnts. Nur Michael Jackson und die Backstreet Boys hatten seit 1990 mehr Top Ten Hits in Deutschland als Scooter. Und, dankt man es ihnen? Bittet man sie nur einmal auf der „Wetten, dass?“-Couch Platz zu nehmen? Zum Handshake mit dem Bundeskanzler oder wenigstens zu Beckmann oder Bio?

Wie sie nach dem Konzert in Berlin so Backstage ihren Eistee schlürfen, während draußen Scooter-Sprechchöre die Runde machen, errinern sie ein bisschen an die PDS der letzten Jahre: schrecklich erfolgreich, durchaus nicht unsympathisch und dennoch – ganz weit draußen. Zu Hardcore für die große Samstagabend-Show, zu populistisch für den Raver von Welt.

Dass H. P. Baxxter, Rick Jordan und Axel Coon auf dem langen Marsch durch die Neunziger all jene eingesammelt haben, die im Techno-Land BRD keine Lobby besitzen, wird ihnen zumindest die hiesige Dance-Presse niemals verzeihen. Ihr High-Energy-Entertainment für Neubrandenburger GTI-Fahrer ist nicht gerade „Platte des Monats“-prädestiniert. Im Gegenteil: Scooter dürfte die Ehre gebühren, als einziger deutscher Techno-Act für jedes ihrer acht Studio-Alben das Raveline-Prädikat „Flop des Monats“ abgeräumt zu haben. Was sie – Profis, die sie nun mal sind – doch ein wenig stolz macht. „Solange man uns richtig scheiße findet“, erzählt Rick, der furchtbar nett ist, ständig mit den Augen blinzelt und zu Hause mit seiner Frau auch gerne Enya hört, „so lange sind wir im Geschäft. Marusha würde nicht mal mehr die ‚Flop des Monats‘-Auszeichnung bekommen. Das wirklich Lustige ist aber, dass wir, sobald wir eine Platte ohne den Namen Scooter und ohne die Vocals veröffentlichen, aus der Techno-Szene ganz andere Reaktionen bekommen. Das vorab veröffentlichte Instrumental von ‚I`m your pusher‘ war dann doch tatsächlich in der gleichen Zeitschrift die Platte des Monats.“

So was entschädigt: Schenkel werden geklopft, auf die mutmaßliche Entlassung des zuständigen Raveline-Redakteurs ein weiterer Eistee getrunken. Ein lustiges Paralelluniversum, in dem Verrisse lesen und Kontoauszüge ziehen gleichermaßen Spaß zu machen scheint. Wie überhaupt alles bei Scooter auf die Devise „Fun, Fun, Fun und nach uns die Sinflut“ hinausläuft: Hardcore aus Hannover ist eben immer as happy as hardcore can get. Da werden Sinatra, Supertramp und beliebte Sauflieder verwurstet, die Dudelsack-Melodie von „Was wollen wir trinken“ trifft auf bretterharten Trance und H. P. Baxxter – der Meister des vom Zaun gebrochenen Stream of Consciousness – schleudert uns einen weiteren Chorus entgegen, der keine Fragen offen lässt: „How much is the fish? / Here we go, here we go again/ Yeeeeeeeeeah! / Sunshine in the air!“

So was kloppt man dann – von Lachkrämpfen unterbrochen – „fettestmöglich“ fertig und wartet, bis die Nummer auf Platz drei der deutschen Charts klettert. Für Scooter business as usual. Für die Sensibleren da draußen ein Albtraum ohne Ende.

Dass die drei ihre Musik schonmal als „Neo-Dadaismus“ bezeichnen und durchaus die richtigen Platten im Schrank haben – „Shut Up And Dance“-Coverversionen und Respektbezeugungen für Houselegende Tyree Cooper werden als Indizien zugelassen –, dies alles könnte darauf hindeuten, dass Scooter ihr größtenteils ahnungsloses Publikum nach Strich und Faden verarschen.

Dem ist natürlich nicht so. „Wir stehen hundertprozentig zu unserer Musik. Sonst hätten wir das nie so lange durchziehen können. Wir nehmen das, was wir tun, sehr ernst. Nur uns selbst überhaupt nicht“, versichern Rick und Axel, während sich ihr Frontmann zur voll aufgedrehten „Bittersweet Symphonie“ von The Verve schonmal ein bisschen warm macht: Furchterregende „AAAAARGH“-, „UAAHH“- und „POSSEEEE!“-Schreie übertönen die Stimme Richard Ashcrofts. Dann heißt es: Noch ein Bier und nichts wie raus. Und vor allem: Rocken, wie die Columbiahalle seit dem letzten Motörhead-Konzert nicht mehr gerockt wurde.

Man muss sich Scooter live in Berlin wie eine Art Underworld für dreißigjährige Wendeverlierer vorstellen – mit dem entscheidenen Unterschied, dass sie die besseren Performer sind und circa 25 Hits mehr im Reportoire haben. Was wiederum ihr dezidiert uncooles Publikum derart ausrasten lässt, das auch der zynischste Elendstourist nicht viel mehr als ein kopfschüttelndes „Wie geil ist das denn?“ herausbekommt. Kein Zweifel: sehr geil natürlich. So geil, dass man sich nach 30 Minuten ernsthaft zu fragen beginnt, wie man all die Jahre versuchen konnte, in Läden Spaß zu haben, in denen „minimal techno“ eben oft auch „minimal fun“ bedeutet. Stumpf ist bei Scooter tatsächlich noch Trumpf. Breakbeat reimt sich auf Ballermann, und nach feuersprühenden E-Gitarren, der angetäuschten Unplugged-Version von „Hyper Hyper“ und einer wirklich rührenden Billy Idol-Hommage steht die Halle geschlossen Kopf. „Berlin“, will H. P. Baxxter zum Abschied wissen, „Berliiiiin! Ja seid ihr denn alle bekloppt?“ Die Antwort sind tausende Fäuste und ein „Ja“, das noch das letzte, skeptische „Warum?“ übertönt. Wie heißt es so schön im liebevoll gestalteten Text-Booklet ihrer aktuellen CD: „AAAARGH! Resurrection!“ Und: „You keep the spirit alive!“ Man wird weiter mit ihnen rechnen müssen.

Scooter sind bis Anfang Februar auf Tournee. Aktuelles Album: „Push The Beat For This Jam“