Lieber feiern als Karriere machen

Klare, große, grüne Augen, riesiger roter Mund: „Julie Johnson“ mit Lili Taylor ist ein sehr amerikanischer Film über Ausbruch und sozialen Aufstieg. Courtney Love als Claire sorgt dabei für den relativierenden Glanz einer Schlampe, die mit solchen Ambitionen nicht so viel anfangen kann

Dieser Film zeigt, warum man eigentlich immer gleich an seinem Habitus arbeiten soll, wenn sich die sexuellen Gewohnheiten ändern, und wie es ist, sich aus dem auszuklinken, was der Partner forciert

Der weiße Gartenzaun, die Grillparty, die Einbauküche: Wir befinden uns in Hoboken in New Jersey bei New York, einer amerikanischen Vorstadthölle wie aus der Waschmittelwerbung, kleinkariert die Gegend, borniert seine Bewohner. Lili Taylor spielt ihre Lieblingsrolle: den Underdog. Julie Johnson ist eine einfache Hausfrau, ein hässliches graues Entlein, das einmal dankbar war, geheiratet worden zu sein, und jetzt aus Gewohnheit ihren ehelichen Pflichten nachkommt, sei es, dass sie in der Küche schrubbt und kocht und scheuert, sei es, dass sie im Ehebett stillhält.

Nur an einem einzigen Punkt, da hört es auf mit Julie Johnsons Geduld, und das ist, wenn sie jemand daran hindert, ihren Wissensdurst zu stillen. Als ihr der Ehemann verbietet, den Computerkurs zu besuchen, hat es ein Ende mit dem vielen Dulden und Ertragen. Sie wirft ihn raus und beginnt, den Weg zu gehen, den sie schon lange hätte gehen sollen. Etwas werden wollen, weiter, weiter auf dem Weg zu sich selbst, aus den bedrückenden Verhältnissen ausbrechen und das tun, was das Herz verlangt. Dieser Film von Bob Gosse wäre, wenn es dabei bleiben würde, eine sehr amerikanische Geschichte von dem, der auszog, das Fürchten zu lernen und ein intaktes Mitglied der aufgeklärten Gesellschaft zu werden.

Bleibt es aber nicht. Lili Taylor, die sich nun wirklich auf die Darstellung der ewig Gebeutelten spezialisiert hat, verkörpert die Julie Johnson so, dass man keine Wahl hat – man muss es es einfach glauben, es gibt sie immer noch, die Frauen, die sich herumkommandieren lassen, die Männer, die Befehle erteilen wie vor hundert Jahren. Aber das ist nicht alles: Julie Johnson hat auch noch eine Nachbarin und beste Freundin, die sie in ihrem Wunsch, wieder etwas zu lernen, unterstützt. Claire verlässt sofort ihren eigenen Mann und zieht ein, als Julies Mann auszieht. Man kann sich gar nicht satt sehen an Courtney Love, die die Claire spielt, an ihren sehr klaren, sehr großen und sehr grünen Augen, ihrem riesigen roten Mund, ihrem bodenlosen Dekolletee, dieser ganzen unwahrscheinlichen Erscheinung.

Ziemlich schnell entwickeln Julie und Claire eine Liebesbeziehung zueinander. Die Art, wie Lili Taylor und Courtney Love sich, ohne sich anzusehen, im Supermarkt zueinander hinstrecken, ihr Schulmädchenkichern, ihre Verliebtheit, wie sie sich auf der Parkbank anschmachten und kaum mehr den Weg nach Hause schaffen, das befördert vielleicht nicht die lesbische Bewegung. Trotzdem ist es so toll anzusehen, dass man in diesem Moment keine Lust hat, über den männlichen Blick auf lesbische Erotik nachzudenken. Denn Courtney Love gibt dem Film von Bob Gosse eine Wendung, die möglicherweise nicht im Drehbuch stand: Immer mehr entwickelt sich der Film von einer Geschichte über einen Aufbruch in ein besseres Leben und ein Coming-out zur Geschichte Claires. Und Claire hat nun mal keine Lust auf die harte Arbeit, die eine solche Verwandlung kostet.

Immer häufiger doziert Julie über ihre neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Für sie ist diese Geisteswelt das höchste Glück, und darum will sie Claire unbedingt mitnehmen. Sie will einfach nicht wahrhaben, dass es Claire immer langweiliger wird. Im Glanz der lässigen Schlampe, die lieber faul auf dem Sofa fläzt und sich ihre Fußnägel lackiert, erscheint die Figur Julie Johnon plötzlich in einem ganz anderen Licht: schmallippig, verkrampft und durch und durch beseelt von protestantischer Arbeitsmoral. Im Computerkurs schläft Claire fast ein, und als Julie sie auf eine Stehparty in New York mitnimmt, wo es ziemlich akademisch zugeht, steht sie dumm rum und will schnell wieder gehen.

Mit Courtney Love als Claire verhandelt „Julie Johnson“, warum man eigentlich immer gleich an seinem Habitus arbeiten soll, wenn sich die sexuellen Gewohnheiten ändern. Er zeigt sehr berührend, wie es ist, wenn man sich einfach aus dem sozialen Aufstieg ausklinken muss, den der Partner so verbissen forciert. Die Beziehung zwischen Julie und Claire geht schließlich an den unterschiedlichen Geschwindigkeiten der beiden Frauen kaputt: Während Julie stählern weiterbüffelt und ambitionierte Smalltalks mit ihren Professoren führt, kehrt Claire aus Mangel an Alternativen, aber trotzdem ganz vergnügt in ihre heterosexuelle Clique zurück. Hier kann sie wenigstens wieder richtig feiern.

SUSANNE MESSMER

„Julie Johnson“. Regie: Bob Gosse. Mit Lili Taylor, Courtney Love, Bill Golodner u. a. USA 2001, 99 Min.