„Attac in den Währungsfonds“

Der Soziologe Ulrich Beck will Stimmrecht in transnationalen Organisationen für Globalisierungskritiker

taz: Zum Weltsozialforum nach Porto Alegre kommen zehntausende Leute aus allen Teilen der Welt. Beim Gipfel der Kritiker der neoliberalen Globalisierung wird diskutiert, gefeiert, gefordert. Welchen Sinn hat so eine Veranstaltung?

Ulrich Beck: Solche Ereignisse sind bedeutsam – politisch und moralisch. Basisgruppen, Lobbyverbände und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben ja mittlerweile einen erheblichen Einfluss auf die nationale Politik und auch supranationale Organisationen. Sie fungieren als welthumanes Gewissen. Außerdem sind die nationalen Regierungen wesentlich auf die Informationen angewiesen, die ihnen die NGOs zukommen lassen. Regierungen und Bürokratien fällen ja nur noch etwa 50 Prozent aller politisch relevanten Entscheidungen. Die andere Hälfte wird in transnationalen Organisationen und internationalen Konzernen getroffen.

Nach dem Weltsozialforum im vergangenen Jahr wurde häufig kritisiert, dort sei nur Blabla zu Stande gekommen. Wie soll man sich vorstellen, dass ein derart vielstimmiger Chor weitreichende Entscheidungen fällt?

In Porto Alegre und anderswo entsteht ein Gerechtigkeitshorizont, der bestimmte Wertmaßstäbe allgemein gültig macht. Die Basisgruppen thematisieren Fragen weltweiter Armut und sozialer Gerechtkeit, die beantwortet werden müssen – auch von nationalen Regierungen. Die entscheidende Leistung solcher Veranstaltungen besteht darin, den nationalen Bezugsrahmen zu öffnen.

Insofern sind die Leute von Porto Alegre Pioniere des Transnationalen?

Man muss erst mal die grundsätzlichen Fragen zu stellen lernen. Daraus können dann politische Bewegungen und schließlich Institutionen entstehen. Ich glaube, dass die NGOs nicht nur moralische Unternehmer sind, sondern auch Begriffsunternehmer. Sie schaffen neue Begriffe und erzeugen politische Aufmerksamkeit.

Sie schreiben, dass sich der Staat im Zuge der Globalisierung völlig verändert. Auch NGOs würden quasistaatliche Aufgaben übernehmen. Welche könnten das sein?

Sie formulieren und vertreten die Interessen derjenigen, die von den alten Institutionen ignoriert werden. Sie könnten eine Rolle als Berater von Regierungen und Konzernen spielen – oder auch als stimmberechtigte Mitglieder in den bestehenden Institutionen.

Die globalisierungskritische Organisation Attac könnte Stimmrechte beim Internationalen Währungsfonds (IWF) bekommen?

So könnte man das ausbuchstabieren. Bisher haben IWF und Weltbank ja gar keine richtige Öffentlichkeit und auch keine richtige Legitimation. Ihre Berechtigung leiten sie scheinbar ab aus dem Willen nationaler Regierungen. Doch viele Länder – und die Menschen, die dort leben – können gar nicht so mitbestimmen, wie es ihnen eigentlich zustehen müsste.

Was sollte man zuerst anpacken, um den Prozess der Globalisierung in die richtige Richtung zu lenken?

Für wesentlich halte ich einen Akt der Bewusstwerdung. Es gibt nicht mehr die Globalisierung irgendwo da draußen. Auf fast allen Ebenen der Politik hat sich die bisherige Unterscheidung in Innen und Außen überlebt. Nehmen sie den 11. September: Plötzlich wurde sichtbar, dass die innere Sicherheit der USA von der polizeilichen Strategie in Hamburg oder in Italien abhängt. Es gibt keine souveräne Innenpolitik souveräner Staaten mehr. Die Globalisierung erzwingt transnationale Kooperation. Auch, was Einwanderung angeht: Heute kümmern sich die Nationalstaaten vornehmlich um ihre Staatsbürger. Was aber ist mit Flüchtlingen, Migranten, transnational Lebenden? Wo können die ihre Interessen an einem sicheren Leben, an Wohlstand und Bildung einklagen?

Die Globalisierung erzeugt bei vielen ein Gefühl der Heimatlosigkeit und Angst vor neuen Risiken. Wie kann man diese Furcht dämpfen?

Vielleicht, indem man die Orientierung eines geerdeten Kosmopolitismus fördert. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde diese Debatte bereits einmal geführt – von Kant, Fichte, Schiller und den großen Geistern jener Zeit. Besonders Heine warnte vor der Figur eines geschlossenen Nationalismus. Aber man darf den Leuten auch nicht die Weltbürger-Identität aufzwingen. Es geht darum, die regionalen und nationalen Räume für transnationale Einflüsse zu öffnen, nicht darum, sie preiszugeben.

INTERVIEW: HANNES KOCH