Unerkannt durch Musikland

Kurt Weill bleibt ein Rätsel, und Milva darf sich räkeln: Sven Düfers neuer Film über den Komponisten klärt nichts

„Notenquetscher“ und „Dachstubenkomponist“ – dies sind zwei der weniger schmeichelhaften Bezeichnungen, die Kurt Weill angehängt wurden. Unbestritten, der Komponist der Dreigroschenoper hat zum Widerspruch gereizt. Aber auch in starkem Maße zur Zustimmung. Einer widersprüchlichen Zustimmung, denn sowohl in seiner Musik als auch in seinen Lieben und Leidenschaften tat er sich mit Festlegungen schwer.

„Ich habe niemals einen Unterschied zwischen ernster und leichter Musik anerkannt. Es gibt nur gute und schlechte Musik“, sagt der 1900 geborene Künstler, der bereits in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts die Trennung von E- und U-Musik ignorierte. Selbst heute würde ihn das noch als Avantgardisten auszeichnen.

Unvereinbarkeiten hat er auch in der Liebe gutgeheißen. Lotte Lenya heiratet er, lässt sich scheiden, heiratet sie noch einmal. Beide haben Affären und Liebschaften in beträchtlicher Zahl. Hinzu kommen Lebenswege, die den Künstler freiwillig von Dessau nach Berlin führten und unfreiwillig über Paris nach New York.

Eigenwillig, leise, leidenschaftlich, penibel und in die Musik versessen soll Weill gewesen sein. Seine Arbeitswut, Passion und Scheu vor den Menschen, die ihm oft als Arroganz ausgelegt wurde, haben ihn wohl schon zu seinen Lebzeiten für viele zu einem Rätsel gemacht. „Kurts Wesen konnte man nur sehr schwer erfassen“, sagt Lotte Lenya in einem Interview, in dem sie sich an Weills Tod 1950 erinnert. „Ich hatte das Gefühl, ihn nie wirklich gekannt zu haben. Zugleich kannte ich ihn und kannte ihn nicht.“

Einen Schlüssel zu dieser enigmatischen Person versucht Sven Düfer in seinem neuen Dokumentarfilm „Kurt Weill – Stationen eines Künstlerlebens“ zu finden. Vergeblich übrigens. Denn der junge Regisseur wendet sich nicht den Ecken und Kanten des Komponisten zu, die ihn spannend machen, sondern versucht, sie mit leicht zu durchschauenden Kunstgriffen zu umschiffen. Anstatt das Widersprüchliche zu erklären, zähmt er Weill, indem er sich an eine chronologisch biografische Ordnung hält: Geburt, Schule, Studium, Beruf, Heirat, skandalöser Erfolg, Nationalsozialismus, Flucht, Paris, weniger Erfolg, USA, bitterer Erfolg, Tod. Alles in fünfzig Jahren.

Der Regisseur wählt einen „Tour Guide“, Dr. Jürgen Schebera, Kenner und Biograf des Komponisten, der an die Orte von Weills Leben und Wirken führt. Allerdings nimmt er nicht nur die Zuschauer des Films an die Hand, sondern er lässt sich von einer stattlichen Anzahl von Diven, Chansonsängerinnen, Zeitzeugen und Musikern begleiten, die sich an Weills Dur-Moll-Dissonanzen meist ohne Happy End probieren. Der Talentschuppen der Weill-Interpreten beginnt mit einer Peinlichkeit: Milva aalt sich als verruchtes Weibsbild auf einem blank polierten Flügel in der Gemäldegalerie in Dessau. Während Sie „Das Meer ist blau, so blau“ singt, fährt die Kamera über die Gesichter schöner, dreihundertjähriger Frauen holländischer und flämischer Maler. Beim Schlussakkord liegt Milva ausgestreckt auf dem Boden. Wahrscheinlich hätte Weill die Sängerin nach diesem Auftritt nicht mehr mit ihrem Vornamen angesprochen. So nämlich zeigte er seine Missbilligung.

Eine der Stationen aus dem Leben des Künstlers – das erste Treffen zwischen Weill und Lotte Lenya – darf die 31-jährige Schauspielerin Kathrin Angerer musikalisch untermalen. „Es gibt viele Surabaya-Johnnys“, sagt sie. Solche, die Frauen sitzen lassen. Offenbar weiß sie es aus Erfahrung. Sie nimmt den Song wörtlich und macht daraus einen Innerlichkeitsschnulze, ohne Witz, ohne Wut, ohne Wahrheit.

Solchermaßen durch zu viele Ebenen eingestimmt, die Weill eher zum Vorwand denn zum Inhalt des Films nehmen, wird der Mix aus Kommentar, Interpretation, Landschaftsaufnahmen, Zeitzeugenberichten und historischen Dokumenten weitergeführt. Kurt Weill wird zum Stichwortgeber für Chanson-, Rock- und Punk-Ikonen, die sich an den Orten aus seinem Leben aufhalten. Vermeidbare Höhepunkte dabei sind die Auftritte von Blixa Bargeld und Udo Lindenberg. Der Erste versinkt in einer Kopie des nie ganz reichen Nie-ganz-Dandys und drückt ihm mit fettigen Haaren und braunen Zähnen sein Markenzeichen auf. Letzterer rotzt den Haifischsong schmalzig dahin und feilt damit lediglich an seiner eigenen Legende.

Je länger sich der Film hinzieht, desto mehr dominieren die Eitelkeiten der Weill-Interpreten das Geschehen. Die Hauptfigur – Kurt Weill – verblasst. Darn kann auch Jocelyn B. Smiths Performance nichts ändern. Irgendwann werde die Musik Kurt Weills die ihr gebührende Anerkennung finden, meint Lys Symonette von der Kurt Weill Foundation in New York. Sven Düfers Film wird in dieser erhofften Renaissance keinen Meilenstein setzen.

WALTRAUD SCHWAB

„Kurt Weill - Stationen eines Künstlerlebens“, Regie Sven Düfel, BRD 01, Filmbühne am Steinplatz, Hackesche Höfe 5