Ich oder Nicht-Ich

„Wenn jeder Mensch ein Lesegerät ist, bin ich vielleicht ne Romanfigur“: Bonz ist eine seltsame Mischung aus Kunst und Mensch. Jetzt hat er eine neue Kneipe, den „Blauen Engel“, aufgemacht, für die er in seinen dramatischen „Bonzletters“ wirbt

von DETLEF KUHLBRODT

Bonz ist seltsam; einerseits Kunstfigur, einer der Helden des Romans „Mitte“ von Norman Ohler, in dem es um komische Drogenexperimente, Musik und ein stranges Haus am Hackeschen Markt geht, andrerseits ein lebender Mensch. In dem Ohlerschen Roman war Bonz Mitte der 90er Chef des wilden „Café Nadine“ am Hackeschen Markt, „wo Taxifahrer und englische Bauarbeiter am Tresen keimten, hinter dem eine Schülerin die schäumenden Hähne bediente, über ihr der gehäkelte Spruch an der Wand: Früher Arier, dann Proletarier, jetzt nur noch Prol.“

In echt ist Bonz außerdem ein Typ aus der Bommi-Baumann-Generation, der vor Jahren die ersten „Silent Raves“ veranstaltet hat und nachts bei komischen Veranstaltungen da und dort Hände schüttelt, von kräftigen Männern mit kurzen Haaren begleitet wird und aus seinem Realnamen ein Geheimnis macht.

„Keine Namen!“, hat er gesagt, als ich ihn vor ein paar Wochen mal getroffen habe, was insofern ziemlich überflüssig war, als ich weder was schreiben wollte noch seinen Namen verstanden hatte. Egal. Bonz ist auch Künstler, betreibt ein virtuelles Drogengeschäft im Internet (bonzshop.de) und verschickt ab und an seine „Bonzletters“. Die letzten klangen recht dramatisch:

„Fri, 18 Jan 2002 10:48:04: Hi Freunde!! nach dem ‚Café Nadine‘ mach ich jetzt meinen zweiten Laden seit langem mal wieder auf. ‚Watt kleines Legales.‘ Das ist der ‚Blaue Engel‘, in der Brunnenstraße. Wenn man vom Rosenthaler Platz Richtung Norden läuft, auf der rechten Seite gleich. Heute ist Einweihung, so ab 22:30 Uhr. Ich würd mich freuen. Bonz. PS: Suche noch weibliches Tresenpersonal für die Monate Januar und Februar.

Fri, 18 Jan 2002 19:01:57: Sorry – bin in Polizeigewahrsam. Öffnung des ‚Blauen Engels‘ muss leider verschoben werden. Bonz.

Fri, 18 Jan 2002 20:31:12: Bin auf freiem Fuß. Kein Witz. Schließe jetzt ‚Blauen Engel‘ auf. Bonz.

Sat, 19 Jan 2002 19:46:34: Liebe Abonnenten des Bonzletter – es is viel spekuliert worden, was jetzt gestern los war. Das war schon seltsam. Ich war zu Hause und wollt grad alles sammeln, um dann rüberzugehen und den ‚Blauen Engel‘ aufzuschließen, da standen die Bullen vor der Tür und haben eine Geld-Forderung gestellt, die noch mit dem ‚Café Nadine‘ was zu tun hatte, das ich ja vor 5 Jahren schon schließen musste wegen fehlender Konzession – aber wieso die jetzt grade an dem Abend kommen, wo ich mein neues Ding aufmachen wollte, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Ich musste dann mit aufs Revier und dacht schon, ich bleib da über Nacht. Da musste ich alle wieder ausladen. Aber dann ist ein Freund gekommen und hat mich ausgelöst. Dann hab ich alle wieder eingeladen. Der ‚Blaue Engel‘ ist jetzt jeden Abend auf, wobei vor allem am Wochenende ein gewisses Unterhaltungsprogramm geboten wird. Brunnenstraße, Nähe Rosenthaler Platz. Alles Gute. Bonz.“

Der Fachmann staunt und der Laie wundert sich. Dann mailte ich dem Dichter Norman Ohler, um zu fragen, wie das denn alles zu verstehen sei.

Er schrieb zurück: „bonz ist eine gesampelte persönlichkeit, die aus der realität kommt, fiktion wurde, jetzt wieder auf die realität einwirkt.“ Außerdem schickte er mehr Material, denn die dokusoapmäßigen Bonzbriefe waren auch im Online-Forum der „rohrpost“ gepostet worden, die sich mit Netzkunst beschäftigt und wo Leute auf die Bonzbriefe reagiert haben.

Gefragt wurde da nach dem Wirklichkeits- beziehungsweise Fiktionsgehalt; Autor Ohler schrieb unter seinem Netznamen „sayheykey“, dass es sich bei Bonz um eine Romanfigur handle, Bonz antwortete: „Wenn jeder Mensch ein Lesegerät ist, bin ich vielleicht ne Romanfigur“, und gab zu bedenken: „Mein unerschütterlicher Glaube an mich selbst könnte nur erschüttert werden, wenn ich ein anderer wär. Herauszufinden, ich bin nur die Einbildung eines Dritten beispielsweise, das würd mich gläubig machen.“

Jemand bewarb sich als Tresenfigur: „ich habe die info, dass du für deinen neuen laden ‚blaue engel‘ noch tresenpersonal suchst. momentan suche ich mal wieder was neues zum arbeiten. wenn du also immer noch leute brauchst, würd ich mich über einen anruf freuen“, andere Romanfiguren schalteten sich ein.

Den Schlusspunkt setzte wieder der Geheimnisumwitterte: „sehn wir uns am Samstagabend im ‚Blauen Engel‘ in der Brunnenstraße, Nähe Rosenthaler Platz? Wer ‚Geht auf Klinger‘ sagt (mir ins Ohr flüstern bitte, soll ja niemand mitkriegen), dem geb ich einen aus. Von der Fassadenaufschrift ‚V.I.P.-Club‘ bitte nicht abschrecken lassen. Gruß, Bonz.“

Und am Ende war man wieder mal erstaunt über etwas, das so unentschieden unterhaltsam zwischen den Identitätsfragen der deutschen Romantik (Ich oder Nicht-Ich oder beides zusammen?), den Themen existenzphilosophisch interessierter Drogenexperimentatoren und einem PR-Spiel – für das Buch und die Kneipe – herumspielte.