Die Farbe von Papas Giraffe

Mit Sex lässt sich jede Neurose in den Griff kriegen: In dem Film „Mortal Transfer“ gönnt sich Jean-Jacques Beineix einen großen Spaß mit der Psychoanalyse. Über den therapeutischen Übertragungen stehen bei ihm die Oberflächen

Eine erfolgreiche Analyse braucht ihre Zeit. Da kann es schon mal dreißig Jahre dauern, um einschneidende Erlebnisse aus der frühen Kindheit in die richtigen Zusammenhänge zu bringen. Zum Beispiel, dass die Giraffe, die man als Fünfjähriger von seinem Vater geschenkt bekommen hat, keine blaue war, wie all die Jahre über gedacht, sondern eine grüne.

Möglich, dass sich auf dem Grund solch einer Erkenntnis ein labiles Ich stärken lässt, ja, dass man damit sogar eine ganze Persönlichkeit neu justieren kann. Ganz sicher aber lässt sich um so eine Erkenntnis herum ein hübscher Film drehen, wie es der französische Regisseur Jean-Jaques Beineix zum ersten Mal seit fast zehn Jahren wieder getan hat.

Mit „Mortal Transfer“ stürzt Beineix sich lustvoll in das Geschäft mit den therapeutischen Übertragungen und tödlichen Gegenübertragungen und erlaubt sich dabei einen großen Spaß mit der traditionellen Psychoanalyse. Vor allem aber scheint er beim Drehen auch wieder tief in sein eigenes, filmisches Werk vorgedrungen zu sein sein, denn schon nach wenigen Minuten werden in „Mortal Transfer“ Erinnerungen an „Betty Blue“ und „Diva“ wach, Beineix’ New-Wave-Filme aus den Achtzigerjahren.

Alles wieder da: die eigentümliche Künstlichkeit, die verrätselte Atmosphäre, die Liebe zum knallfarbenen Detail, die eine Farbe Blau, in der die meisten Bilder in diesem Film gehalten sind. Und auch der „Betty-Blue“-Hauptdarsteller Jean-Hugues Anglade, der, um 20 Jahre gealtert, aber immer noch sehr jungenhaft wirkend, jetzt als Psychoanalytiker Michel Durand auf seinem Stühlchen hockt und sich die Konflikte, Neurosen, Kindheitserinnerungen und gewalttätigen Fantasien seiner Patienten anhört.

Mit einem gelegentlichen Schläfchen wappnet Durand sich gegen die schlimmsten Zumutungen, passt dann aber einmal nicht auf, als sich die schöne Kleptomanin Olga Kubler (Helène des Fougerolles) auf seiner Couch räkelt. Wunsch und Wirklichkeit, fieser Traum und tiefer Schlaf: Plötzlich ist sie tot, erwürgt, und Durand hat eine Leiche erst auf und dann unter seiner Couch. Es folgt eine wirre und in Maßen komische Geschichte, die Durand in große Häuser und auf Friedhöfe führt, in die eigene Vergangenheit und eine knisternde Gegenwart aus Sex und Crime. Eine Geschichte, in der SM-Fantasien, Freuds Wolfsmann, ein Haufen Geld und ein obdachloser Weihnachtsmann mal mehr, mal weniger wichtige Rollen spielen.

Mögen aber noch so viele, bevorzugt sexuelle Fantasien von den Patienten auf die Therapeuten auf andere Therapeuten und wieder zurück übertragen werden: Über allem Psycho steht bei Beineix die Inszenierung, das schwungvoll-elegante Segeln auf den Oberflächen, die sich in „Mortal Transfer“ mal als gelber Porsche, mal als silbermetallicfarbener Cadillac darstellen, als rote Socken, lila Fliegen, glitzerblaue High Heels. Nicht weiter wichtig, dass man irgendwann nicht mehr mitkommt, sich die Wechselspiele von Traum und Realität kaum noch auseinander halten lassen und mithin die Geschichte an sich über Bord geht. Schön anzuschauen ist dieser Film allemal.

Am Ende hat Durand, wie es sich für einen ausgeschlafenen Analytiker gehört, wieder ordentlichen Sex. Damit lässt sich jede Neurose in den Griff bekommen oder erklären, dafür ist schließlich eine Analytikercouch auch da. Die Giraffe liegt derweil unbeachtet unter der Couch, und eigentlich ist es völlig egal, ob sie nun blau oder grün oder gelb ist.

GERRIT BARTELS

„Mortal Transfer“, Regie und Buch: Jean-Jacques Beineix, Darsteller: Jean-Hugues Anglade, Valentina Sauca, Hélène de Fougerolles, Denis Podalydes u. a. F 2000, 122 min