Sparen auf brasilianisch

Kann Porto Alegre für Berlin ein Vorbild sein? Nach dem Modell des „partizipativen Sparens“ könnten die Berliner selbst entscheiden, ob das knappe Geld in Unikliniken, Opern oder Kitas fließen soll

von MARIJA LATKOVIC

Der Vergleich erscheint gewagt. Porto Alegre und Berlin? Auf den ersten Blick haben die beiden Städte nichts gemein. Porto Alegre, die brasilianische Vorzeigemetropole, in der derzeit das Weltsozialforum der Globalisierungsgegner tagt, ist ein Vorbild in Sachen kommunaler Finanzpolitik. Ganz im Gegensatz dazu Berlin: Die deutsche Hauptstadt ist kurz vor dem Haushaltsnotstand, 40 Milliarden Euro fehlen in der Kasse. Doch Porto Alegre stand vor knapp zehn Jahren dort, wo Berlin heute steckt – tief in den Schulden.

Als 1989 eine linke Regierung in der brasilianischen 1,3-Millionen-Metropole an die Macht kam, ging sie in die Offensive. Korruption und Vetternwirtschaft erklärte sie den Krieg. Die Bürger sollten fortan die Finanzpolitik der Stadt bestimmen. 16 Bürgerversammlungen wurden einberufen. Sie entscheiden heute, wohin die knappen Mittel fließen sollen. In Befragungen können sich die Bürger für oder gegen Projekte aussprechen. Soll eine Kinderkrippe gebaut werden? Oder ist eine Asphaltierung zweier Nebenstraßen wichtiger? „Partizipatives Budget“ nennt man das. Jeder der 30.000 Bürger, die sich in den Versammlungen engagieren, kann eigene Vorschläge einbringen. Bis zu 30 Prozent will die Stadt so bei einzelnen Projekten eingespart haben.

Das Modell ist so erfolgreich, dass Millionenstädte wie Barcelona oder Buenos Aires es nachahmen. Porto Alegre – ein Modell auch für das rot-rot regierte Berlin? Sollen die Berliner künftig selbst entscheiden, ob ihre knappen Steuergelder in ein Universitätsklinikum, eine Oper, in Kindertagesstätten oder die Reiterstaffel der Polizei fließen sollen?

Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) winkt ab. „Angesichts der finanziellen Situation können wir uns das nicht leisten“, sagt sein Sprecher Claus Guggenberger. Eine umfassende Information der Bürger, schriftliche Befragungen sowie den Ansatz, die Bürger in Versammlungen über Investitionen entscheiden zu lassen, hält er für „zu teuer und nicht praktikabel“.

Die Finanzexpertin des Deutschen Städtetags, Birgit Frischmut, sieht zwar in der Bürgerbeteiligung den entscheidenden Vorteil des Modellprojekts. „Es ist aber fraglich, ob sich der Versuch auch auf Berlin übertragen lässt.“ Immerhin sei die Hauptstadt fast dreimal so groß wie das brasilianische Vorbild. „Auf Bezirksebene wäre es vielleicht möglich“, räumt Frischmut ein.

Auch der Vorsitzende der PDS-Fraktion Harald Wolf, der die rot-rote Koalition in der Hauptstadt mitkonstruiert hat, will von der Linksregierung in Porto Alegre nicht wirklich lernen. Eine Ausweitung der Bürgermitbestimmung im Bereich des bezirklichen Quartiersmanagements, das kann sich Wolf noch vorstellen. Aber ein partizipatives Budget auf der Ebene des Gesamthaushalts? „Nahezu ausgeschlossen.“

Statt Bürger will Wolf Experten – etwa Vertreter der Gewerkschaften oder der Handelskammer – stärker in Beratungen einbeziehen: „Die Stadt braucht einen Pakt für Konsolidierung“ – und keine Bürgerbegehren über Haushaltsfragen. Das sei so ohnehin in der Verfassung nicht vorgesehen. Auch Städtetag-Mitarbeiterin Frischmut spricht von rechtlichen Hindernissen, wenn es um die Übertragung des Modells Porto Alegre geht. „Haushalts- und Vergaberecht müssen in diesem Fall umgeschrieben werden“, sagt sie.

In anderen deutschen Städten ist man in Sachen direkter Bürgerbeteiligung nicht ganz so zimperlich wie in Berlin. In sieben nordrhein-westfälischen Städten darunter Düsseldorf, Gütersloh und Münster läuft seit November 2000 das Projekt „Bürgerhaushalt“. Die Bevölkerung wird über finanzpolitische Vorhaben umfassend informiert und kann bei einer schriftlichen Befragungen ein Urteil abgeben. Die Ergebnisse sollen als Grundlage für die Entscheidungen der Finanzexperten dienen.

PDS-Mann Wolf hält das für einen sinnvollen Ansatz, „wenn die Ergebnisse tatsächlich Relevanz haben“. Dieses Modell kann er sich auch für Berlin vorstellen. „Wenn man beispielsweise Mittel für Gutachten umschichtet, könnte man Bürgerbefragungen durchführen.“ Weiter will Wolf in Sachen direkte Demokratie aber nicht gehen.

Finanzsprecher Guggenberger ohnehin nicht. „Das vorrangige Ziel dieser Regierung ist es zu sparen.“ Befragungen oder gar Entscheidungen durch die Bevölkerung seien dabei keine Hilfe. „In unserem politischen System liegt die Entscheidungskompetenz auf Seiten der Politik“, sagt er. Dazu hätten die Berliner SPD und PDS schließlich gewählt.