Schily: Augen zu und durch

„Das ist doch gaga“: Bundestagsabgeordnete kritisieren, dass sie zur Bewertung ihres Verbotsantrags gegen die NPD auf Innenminister Schilys Informationen angewiesen sind. Schily erklärt derweil, dass es keine Überarbeitung der Anträge gibt

von HEIDE PLATEN
und ANDREAS WYPUTTA

Die gestrige Entscheidung von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), die NPD-Verbotsanträge von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat nicht zu verändern, bleibt im Bundestag umstritten. Ein Ausstieg des Bundestags aus dem Verbotsverfahren gilt aber als unwahrscheinlich: Die Koalitionsfraktionen SPD und Grüne stützen Schily weiter.

Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte dagegen der taz, die Abgeordneten hätten wegen der mangelhaften Informationspolitik Schilys nicht die Möglichkeit, den Verbotsantrag überhaupt qualifiziert zu bewerten: „Auf der einen Seite wird uns wegen der Geheimhaltungspflicht nichts gesagt, auf der anderen Seite soll ich zustimmen, dass die Anträge nicht verändert werden. Das ist doch gaga.“ Die Union habe die Beteiligung des Bundestags schon immer problematisch gefunden, so Bosbach: „Immerhin handelt es sich um ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik.“

Schilys Sprecher Rainer Lingenthal hatte gestern mitgeteilt, dass die Verbotsanträge nicht verändert würden. Vorschläge, die so genannten V-Leute aus den Verbotsanträgen zu streichen, wies er zurück. Man werde dem Bundesverfassungsgericht aber wie gefordert bis zum 11. Februar eine Stellungnahme zum Problem der V-Leute zukommen lassen, so Lingenthal.

In den Verbotsanträgen, mit denen die Verfassungsfeindlichkeit der NPD belegt werden soll, werden auch Aussagen und Taten von V-Leuten des Verfassungsschutzes als Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD angeführt. Die Karlsruher Richter hatten die bereits festgesetzten Prozesstermine abgesetzt, nachdem bekannt wurde, dass der als Zeuge geladene führende NPD-Funktionär Wolfgang Frenz bis 1995 als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet hat.

Auch der Innenexperte der FDP, Max Stadler, kritisierte gegenüber der taz die Entscheidung Schilys. Stadler bekräftigte die Position seiner Partei, zumindest der Verbotsantrag des Bundestages müsse zurückgezogen werden: „Die Beteiligung des Bundestags an dem Verbotsverfahren war ein Fehler. Wir sind doch auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen.“ Die Bevollmächtigte der PDS-Fraktion für das Verbotsverfahren, Ulla Jelpke, kritisierte den Innenminister scharf: „Schily will uns in Geiselhaft nehmen.“

Der Innenexperte der SPD, Dieter Wiefelspütz, erklärte dagegen: „Ich fühle mich durch den Innenminister gut informiert.“ Er griff die Abgeordneten Bosbach und Hübner an, die Namen möglicher V-Leute genannt haben: „Das ist Geheimnisverrat“, so Wiefelspütz zur taz. Cem Özdemir, Innenexperte der Grünen, kündigte an, seine Fraktion werde Schily ebenfalls unterstützen, „solange keine neuen Erkenntnisse auftauchen“. Die Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD seien auch ohne die Aussagen der V-Leute „erdrückend“. Darüber hinaus kündigte Özdemir eine Debatte um die zukünftige Rolle der Geheimdienste an. Nötig sei eine verbesserte Kontrolle der Dienste durch die Politik: „Sonst besteht wie jetzt die Gefahr, dass Pannen und Fehler über den Erfolg politischer Entscheidungen wie dem NPD-Verbot entscheiden.“

Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele kritisierte gestern in Mainz die Rolle des Verfassungsschutzes. Er erinnerte daran, dass auch die Arbeit des Staatssicherheitsdiensts der DDR darunter gelitten habe, dass die Stasi-Mitarbeiter voneinander nichts wussten. „Im NPD-Verbotsverfahren stellt sich doch die Frage: Richten die Geheimdienste nicht mehr Schaden als Nutzen an?“

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