Gospelchor der Geschworenen

Bei Ally McBeal wird nicht nur geklagt und verteidigt, sondern auch gesungen und gerockt. Gastauftritte von bekannten Musikern sind Programm – heute steht Popstar Sting wegen Anstiftung zum Ehebruch vor Gericht (Vox, 22.05 Uhr)

von MALTE OBERSCHELP

In der Bostoner Kanzlei Cage & Fish, Arbeitsplatz der Fernseh-Anwältin Ally McBeal, hatten die Mitarbeiter schon häufig mit bizarren Fällen zu tun. Da wollte ein krebskranker kleiner Junge den lieben Gott verklagen und reife Erwachsene gingen gegen ihre Kündigungen vor, weil sie nicht vom Glauben an Einhörner oder den Weihnachtsmann lassen wollten. Da muss sich niemand wundern, wenn sich in der Episode „Geburtstagsblues“ Sting wegen Anstiftung zum Ehebruch verantworten muss. Eine Konzertbesucherin behauptet, der Sänger habe sie persönlich gemeint, als er „We’ll be together“ schmachtete, und damit ihre Ehe ruiniert.

Dass ein Popstar wie Sting sich bei „Ally McBeal“ die Ehre gibt, ist kein Zufall. Musik spielt in der Anwaltsserie von David E. Kelley („The Practice“, „Snoops“) eine große Rolle – und das nicht nur wegen des souligen 70er-Jahre-Soundtracks. Darüber hinaus steigen die Mitarbeiter der Kanzlei nach Feierabend in der Hausbar regelmäßig selber auf die Bühne. Und nirgendwo sonst werden Gastauftritte berühmter Musiker so kultiviert. Seit dem Start im Jahr 1997 waren dort unter anderem Tina Turner, Barry White, Al Green, Gloria Gaynor, Barry Manilow, Chubby Checker und Anastacia zu sehen.

Für die fünfte Staffel, die derzeit in den USA ausgestrahlt wird und im Herbst nach Deutschland kommt, haben Elton John und Jon Bon Jovi zugesagt – Letzterer angeblich als Ersatz für Allys derzeitigen Lover Larry Paul alias Robert Downey jr., der wegen Kokain-Haftstrafe wieder aus der Serie herausgeschrieben werden musste.

Manchmal absolviert die musikalische Prominenz lediglicheinen Gastauftritt: In der Bar, wo normalerweise „Ally McBeal“-Hauskomponistin Vonda Sheppard am Klavier sitzt, gibt es zum Ende der Folge ein Ständchen. Aber so wie die Fälle der Anwälte deren persönliche Probleme reflektieren, sind oft auch die Musiker tief in die Dramaturgie der Serie verwoben. Wenn der bis zur Tollpatschigkeit selbstbewusste Richard Fish seinem hypersensiblen Partner John Cage mal wieder Tom Jones als Aphrodisiakum empfiehlt, erscheint Aretha Franklin in der Unisex-Toilette und lehrt die beiden „Respect“. Die Titelheldin Ally McBeal dagegen neigt im Zustand akuten Liebeskummers – also eigentlich permanent – zu musikalischen Halluzinationen. Dann verwandelt Al Green die Geschworenen im Gerichtssaal in einen Gospelchor, oder Barry Manilow steht in der Wohnung und singt „It’s a Miracle“.

Am großartigsten ist der Crossover von TV- und Popkultur in der letzten Folge der dritten Staffel gelungen, die als Randy-Newman-Musical inszeniert war. John arbeitete mit „Davy the Fat Boy“ die Traumata seiner Kindheit auf, der Kanzlei-Chor kommentierte den Stand der diversen Büro-Beziehungskisten („Take me back“, „The Blues“), Allys Vater sang „Real Emotional Girl“. Und zum Finale trat– selbstverständlich – Randy Newman himself auf.

In „Geburtstagsblues“ wird schließlich ein Musiker selbst zum Angeklagten. Während Ally an ihrem Dreißigsten deprimiert zu Hause hockt, vertritt ihr Freund Larry vor Gericht den leibhaftigen Sting. „Ihre Besessenheit für Mr. Sting hat zur völligen Zerrüttung der Ehe geführt“, argumentiert der Anwalt der klageführenden Ehefrau, diese präzisiert: „Ich habe meinen Mann verlassen, weil er nicht einsehen wollte, dass Sting den Song nur für mich gesungen hat.“

Die Folge thematisiert, was Popmusik im Innersten zusammenhält: dass da etwas wäre, wo gar nichts ist, die Versicherung einer kalkulierten Massenware, sich persönlich angesprochen zu fühlen. Zunächst wehrt Sting sich gegen die Projektionen seines Fans – wie sich jeder Musiker für unzuständig erklärt, wenn Selbstmord oder Schulhofmassaker als Folge seiner Songs ausgelegt werden. Erst als er begreift, welche Bedeutung die Klage für die Frau hat, bekennt Sting sich schuldig und stimmt einem Vergleich zu.

Dass Pop Versprechen und Notlüge zugleich ist, bringt das Prinzip der ganzen Serie auf den Punkt: Auch „Ally McBeal“ lebt davon, die große, romantische Beziehung immer wieder für einen Moment als reale Möglichkeit aufscheinen zu lassen – selbst wenn die Protagonisten gar nicht daran glauben. Diese Mal jedoch gibt es ein Happy End: Larry und Sting treffen gerade noch rechtzeitig auf Allys Geburtstagsfeier, um ihren Blues mit einem „Every Breath you take“-Duett zu vertreiben. Und das anfangs so zerstrittene Ehepaar ist um eine Versöhnung sowie 50.000 Dollar reicher. Die Springsteen-Tickets zum Hochzeitstag allerdings lassen die beiden lieber verfallen.