Im Zweifel für eine Kultur des Sieges

Victor Davis Hanson liefert in seinem Buch und seinen Kolumnen eine historisch widersprüchliche Theorie für George Bushs neues Kriegsparadigma

von CLAUS LEGGEWIE

Zum Jahreswechsel machten einige Kommentatoren der westlichen Welt Mut: Sie habe sich dem islamistischen Terror siegreich entgegengeworfen, zu nagendem Selbstzweifel bestehe kein Anlass. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty formulierte etwas eleganter, was Italiens Premier Silvio Berlusconi gleich nach dem 11. September verkündet hatte: Der Westen habe von überhaupt niemandem etwas zu lernen. Selbstzweifel und Siegeszuversicht sind so gesehen Gegensätze. Deshalb wird in den Vereinigten Staaten selbst milde Kritik an der aktuellen Kriegsführung als Schwächung der eigenen Position, als Defätismus ausgelegt.

Die Militärgeschichte legt das Gegenteil nahe, wie gerade Wolfgang Schivelbusch in seinem Essay über die „Kultur der Niederlage“ dargelegt hat. Am meisten lerne man aus Schwächen und Niederlagen. Genauso argumentiert der in Kalifornien lehrende Altertumswissenschaftler Victor Davis Hanson in seinem viel diskutierten Buch, das kurz vor dem 11. September in den USA erschienen ist. Die außerordentliche Fähigkeit zur Selbstreflexion habe den Westen nicht geschwächt, sondern ihm die militärische Stärke verliehen, sich gegen alle möglichen Angriffe von außen zu verteidigen. Die überlegene Waffentechnologie entspringt demnach einer demokratischen Kultur, die eine ständige Kontrolle der militärischen Profession und die Möglichkeit zum (auch pazifistischen) Dissens beinhalte.

Belege dafür entnimmt Hanson der 2.500 Jahre langen Geschichte der Siege und Niederlagen – von der Seeschlacht bei Salamis bis zur Tet-Offensive 1968 in Vietnam. Ein solcher Schnelldurchgang kann natürlich nicht gut gehen und das Stirnrunzeln der Spezialisten war dem Autor sicher: Was war an Alexander dem Großen schon „westlich“, als er die Perser besiegte, und wie kann man heutige Errungenschaften (etwa unseren „Bürger in Uniform“) derart nach rückwärts verlängern? Um aber bei der jüngsten Vergangenheit zu bleiben: Die Tet-Offensive des Vietcong und der nordvietnamesischen Armee im Januar 1968 zwang die USA militärisch nicht in die Knie, sie leitete aber ihren Rückzug aus Südostasien ein. Über das Vietnam-Debakel wird immer noch gestritten, heute differenzierter als 1968 oder 1984. Der konservative Hanson lässt keinen Zweifel daran, dass er das amerikanische Engagement für legitim und die damaligen Kritiker für halbe Landesverräter hält. Aber selbst sie haben seiner Meinung nach dazu beigetragen, die Operationen der Militärs einer politischen Kontrolle und öffentlichen Bewertung zu unterziehen, nicht zuletzt durch die Soldaten selbst. Sogar Wehrkraftzersetzung habe ungewollt das todbringende Potenzial gestärkt, mit dem westliche Truppen in der Folge auch überlegene Gegner in die Knie gezwungen haben.

Diese Bilanz kann sich auf militärhistorische Einsichten von Thukydides bis Clausewitz stützen – Steinbrüche, aus denen sich Bellizisten und Pazifisten gleichermaßen bedient haben. Doch schon im zwanzigsten Jahrhundert ist der gehegte und gepflegte Krieg, das heißt: der von Staaten durch ihre Armeen auf dem Schlachtfeld geführte militärische Zweikampf, zur Ausnahme geworden. Regel sind jetzt so genannte neue Kriege, in denen Partisanenverbände, Warlords, marodierende Banden und vom Drogen- oder Menschenhandel alimentierte Terrornetze vorherrschen. Daraus hervorgehende autoritäre Selbstmordkommandos machen, wie sich zeigt, auch stabile Demokratien ratlos.

Diesen Fall hat Hanson in seinem Buch nicht behandelt, aber seit dem 11. September ist er – als Künder einer „Kultur des Sieges“ – ein gefragter Kolumnist. Als solcher äußert er sich nun in einer Weise, die seine These auf den Kopf stellt. In einer peinlichen Eloge adelte er etwa die New Yorker Feuerwehrleute zur demokratischen Avantgarde im Kampf gegen den Terror (City-Journal Heft 4/2001), und er trommelt, stets eine patente Lehre aus der Geschichte zur Hand, für die Ausdehnung der Terrorbekämpfung auf andere Schurkenstaaten. Mit den Falken im Pentagon und in den konservativen Denkfabriken fordert er, die 1991 in Bagdad versäumte Strafaktion nachzuholen. Die Risiken sieht er wohl: den Zerfall der Allianzen, die Erschöpfung der US-Armee, nukleare und biologische Horrorattacken, die Abkehr Europas. „Aber wären wir wirklich im Krieg, würden wir also unsere Toten rächen und die Sicherheit unserer Kinder sichern wollen, dann haben wir keine Wahl, und unser Sieg steht am Ende außer Frage“ (National Review 23. 10. 2001).

Wo der Sieg ohnehin außer Frage steht, kennt der Schlachtenhistoriker nur noch Gut und Böse. Dabei hat die Welle der Anthrax-Anschläge, von der in den USA nur noch wenige sprechen (aber alle wissen), die Vermischung des äußeren mit dem hausgemachten Terror drastisch vor Augen geführt. Und während Bellizisten eine falsche Siegesgewissheit verbreiten, die beim ersten Wiederaufflammen des Terrors in sich zusammenfallen dürfte, mangelt es anderen, besonders in Europa, an der Einsicht, dass man von einem solchen überhaupt bedroht ist.

Auf der anderen Seite gehört Selbstkritik auch nach dem 11. September sicher nicht zur Stärke der arabischen Gesellschaften und der islamischen Welt. Aber dieses Manko trägt Hanson zufolge nicht zu den Vorteilen des Westens bei, es schwächt nur seine Gegner – nur wenn sie Demokraten würden, könnten sie sich mit Amerika und Europa messen. Mit Hanson, aber gegen seine Kolumnen kann man also argumentieren, dass der Westen erst einmal seine schmerzhafte Niederlage einsehen und begreifen müsste, um am Ende – vielleicht – siegreich dastehen zu können. Zweifel daran sind nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Und sie müssen öffentlich artikuliert werden, weil Zivilgesellschaften nur Krieg führen können, wenn die Verantwortlichen bei den Bürgern um Zustimmung werben und sicherheitspolitische Maßnahmen nicht als Sachzwang oder Staatsgeheimnis vernebeln.

Victor Davis Hanson: „Why the West Has Won“, 504 Seiten, Faber & Faber, London 2001, 34,88 €