Reize in Cinemascope

Immer noch Hardcore: Die Chemical Brothers machen einmal mehr klar, dass sie mit der Drogensubkultur nicht brechen wollen – „Come With Us“

Wenn es mit dem Megaerfolg nichts werden sollte, bleibt ja immer noch das Licht

von ANDREAS HARTMANN

Ein gleißendes Licht, eine Lichtexplosion, die in ein prächtiges Rot hineinspritzt, ein psychedelischer Urknall und dem entgegen: die Chemical Brothers. Mit dieser offensichtlichen Drogenvision haben die chemischen Brüder das Cover ihrer neuen Platte versehen. Klink dich aus! Folge uns in den Rausch der Sinne! Der Plattentitel lautet: „Come With Us“. „Eine halbe Stunde nachdem ich das Meskalin genommen hatte, wurde ich mir eines langsamen Reigens goldener Lichter bewusst. Ein wenig später zeigten sich prächtige rote Flächen, und sie schwollen an und dehnten sich aus“, schreibt Aldous Huxley in seiner Drogenerfahrungsstudie „Die Pforten der Wahrnehmung“. Diese Farben! Diese Pracht! In der Beschreibung des gepflegten Drogenrausches werden Huxley und der Londoner Big-Beat-Act zu Brüdern im Geiste.

Nun wurde Big Beat, unter dessen Banner die Chemical Brothers groß geworden sind, gerne eher mit Prolltum und hemmungslosem Bierkonsum assoziiert als mit Rave, Ecstasy und damit zusammenhängender Kuschellaune. Aber diese Einschätzung war eben noch nie richtig. Tom Rowlands und Ed Simons, das Duo Chemical Brothers, sind waschechte Hippies, die vor keinem Drogenvisionenklischee zurückschrecken. Tracktitel auf der neuen Platte heißen „My Elastic Eye“, was auf den extrem erweiterten Blickwinkel nach LSD-Konsum hindeutet, oder „The Test“, bei dem sich die Assoziation mit „The Acid Test“ aufdrängt, wie der LSD-Selbstversuch bei den Pranksters genannt wurde. Big Beat bleibt Drogensound. Auch das Debütalbum vom überaus erfolgreichen Big-Beat-Kumpel Fatboy Slim hieß „Better Living Through Chemistry“, und der Poptheoretiker Simon Reynolds meint gar, dass seit Big Beat das E aus der Raving-Society-Typifizierung „Generation E“ nicht mehr nur für Ecstasy, sondern für everything stehe: Hauptsache, es knallt. Außerdem ist ja bekannt, dass LSD besonders die visuelle Wahrnehmung stärkt. Und da wäre es durchaus einmal eine Untersuchung wert, warum ausgerechnet die Videoclips von Big-Beat-Acts wie Fatboy Slim, The Prodigy und den Chemical Brothers sich stets qualitativ über die Masse erheben. Auch der Clip zur aktuellen Chemical-Brothers-Single „Star Guitar“ mit den scheinbar simplen Landschaftsbildern, die sich erst bei näherem Hinsehen als manipuliert entpuppen, ist wieder ein echtes Highlight.

Die Chemical Brothers machen mit ihrer neuen Platte einmal mehr klar, dass sie der Rave- und Drogensubkultur entstammen und mit diesem Milieu nicht brechen wollen. Nach all den Jahren und all ihren Erfolgen sind sie bis heute Hardcore geblieben. Ihre Musik hat sich weiterentwickelt, ist tauglich für die Top Ten, wirkt immer noch dramatisch – ein zwar überproduzierter, aber extrem rockender Dance. Es bleibt bei der Reizüberflutung in Cinemascope, auch wenn sich die Chemicals noch stärker als zuletzt mit „Surrender“ von den eigenen Big- und Break-Beat-Wurzeln entfernt haben und man bereits von ihrer psychedelischsten und weichsten Platte spricht. Everything lässt sich dabei nicht nur auf die fehlende Zurückhaltung gegenüber Drogen beziehen, sondern auch auf musikalische Hemmungslosigkeit. Alles zwischen Rock, HipHop und Acid House darf mit hinein in den Kochtopf. Inzwischen wirkt dieses Plädoyer für Hybridformen freilich schon wieder etwas abgestanden. Seit der Ära des Samplers und der DJ-Culture sind wir Dialektik gewohnt, und wenn nun LL Cool J in der Ikea-Werbung mit Cowboyhut und Westerngitarre auftritt, ist das folgerichtig.

Die Chemical Brothers als ein urtypisch englisches Ding konnten sich in Deutschland, wo man Dance-Musik ziemlich ungern mit den Charts in Verbindung bringen möchte, nie richtig durchsetzen. In Amerika schon. Doch sie bleiben ein britisches Crossover-Phänomen, das bis heute darauf angewiesen ist, auf die Popkultur-Codes der Insel zu achten und sich über deren Entsprechung mainstreamfähige Größe zu erarbeiten. Dazu gehört, sich als DJs Respekt zu verschaffen sowie von den Londoner pirate-stations akzeptiert und gleichzeitig von den Kids in den Riesenclubs wie „The Fabric“ oder „Gatecrusher“ geliebt zu werden.

Doch auch der Spagat rüber ins Rocklager will gekonnt sein, schließlich stehen die Chemical Brothers auch für rockkulturfreundlichen Stadion-Dance, und so muss man sich auch hier mit der aktuellen Situation in Großbritannien arrangieren. Noel Gallagher von Oasis, der bereits auf zwei Chemical-Brothers-Tracks zu hören war, die beide massive Hits wurden, gilt spätestens nach dem Strokes-Hype und der so genannten American invasion als abgehalftert. Auf wen hätten die Chemical Brothers, die Gast-Features-Strategen, denn dieses Mal in Hitzüchterfragen zurückgreifen sollen. Auf Robbie Williams? Nein, für „The Test“ haben sie sich Richard Ashcroft besorgt. Ob mit dessen Unterstützung ein Nummer-eins-Hit hinzubekommen ist, bleibt jedoch zweifelhaft. Gilt dieser doch als zwar unerschütterlich cool, doch die Verkaufszahlen seines letzten Albums blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Wenn es nichts mehr werden sollte mit einem erneuten Megaerfolg der Chemical Brothers, bleibt ja noch eins: das Licht. Komm mit uns.

Chemical Brothers: „Come With Us“ (Virgin)