Große Koalition für Leo Kirch

Der Kanzler und sein Herausforderer, beide wollen sie den angeschlagenen Medienunternehmer retten – aus den unterschiedlichsten Motiven

aus Berlin PATRIK SCHWARZ
und LUKAS WALLRAFF

So wild, wie manche es sich vorgestellt haben, ist es dann doch nicht gekommen: Bundeskanzler Gerhard Schröder, sein Gegenspieler von der CSU, Edmund Stoiber, und Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Middelhoff wollten sich am Donnerstag zusammensetzen, um den Kirch-Konzern zu retten – so hatte es am Vortag ein Finanzblatt gemeldet. Dabei sind die Zeiten, als der VW- und der BMW-Ministerpräsident Seit’ an Seit’ Standortpolitik machten, eigentlich vorbei. Auch wenn es gestern kein Gipfelgespräch gab – im Fall des angeschlagenen Medienkonzerns von Filmhändler Leo Kirch sind die Interessen der beiden Rivalen um das Kanzleramt seltsam miteinander verschränkt.

Der Kanzler blickt besorgt auf eine mögliche Pleite, obwohl ihm Kirch als langjähriger Förderer Helmut Kohls zunächst nicht unbedingt nahe stand. Dabei hat Schröder nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen im Blick, wie Regierungssprecher Heye am Mittwoch glauben machen wollte, sondern vor allem die Macht über den Springer-Verlag.

Nichts fürchtet der Sozialdemokrat offenbar mehr, als dass der ultrakonservative australisch-amerikanische Medienmogul Rupert Murdoch die Kirchkrise nutzt, sich als Teilhaber bei Springer zu etablieren. Derzeit hält Kirch 40 Prozent der Springer-Anteile, seine aktuelle Finanzkrise verdankt er einem Versuch der Erbin Friede Springer, ihn aus dem Verlag zu drängen. Unter Berufung auf eine alte Vereinbarung will der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner Kirch zwingen, Springers Anteil an seinem Fernsehgeschäft zurückzukaufen – die geforderten 767 Millionen Euro kann der verschuldete Kirch derzeit jedoch kaum aufbringen. Muss Kirch zahlen, könnte das Geld dafür von Murdoch kommen – und sein Springer-Anteil ins Portfolio des global operierenden Medienmultis übergehen.

Im Vergleich zu dem Ärger, den Murdochs Sun Schröders Kumpel Tony Blair bereitet, ist Springers Bild bisher ein sanftes Lamm. So bastelt man im Kanzleramt, einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge, an einer „nationalen Lösung“, also einer Gruppe deutscher Verlage, die den Springer-Anteil übernehmen könnte. Mit Verleger Hubert Burda sprach der Kanzler angeblich vergangenen Freitag am Rande des Weltwirtschaftsgipfels in New York, im Gespräch ist ferner die WAZ-Gruppe, wo Schröders einstiger Kanzleramtsminister Bodo Hombach Geschäftsführer ist.

So sehr liegt Schröder an einer Lösung, dass er dafür sogar Stoiber die ganz große Blamage erspart. Dessen Lage ist ohnehin vertrackt. Als bayerischer Provinzfürst hatte er Kirch jahrelang gehätschelt (siehe Text unten). Ausgerechnet jetzt, kurz nachdem Stoiber als Kanzlerkandidat angetreten ist, schlittert Kirch in seine tiefste Krise – und Stoiber schlittert mit. Eine fulminante Pleite des von ihm Geförderten wäre so ungefähr das Peinlichste, was dem Kandidaten passieren könnte, der im Wahlkampf vor allem mit seiner Wirtschaftskompetenz auftrumpfen will. Doch Stoiber und seine CSU wirken wie gelähmt. Kein Wunder: Gerade weil Stoiber so eng mit Kirch verbandelt ist, sind ihm jetzt die Hände gebunden. Eine erneute Solo-Rettungsaktion der Landesregierung für den CSU-Spezl Kirch röche viel zu sehr nach bayerischer Kumpanei und würde Erinnerungen wecken an die „Amigo-Affäre“ seines Amtsvorgängers Max Streibl – ein Albtraum für den Kanzlerkandidaten. Deshalb erhält es plötzlich bundesweites Gewicht, wenn die bayerischen Grünen fordern: „Stoiber darf Kirch jetzt nicht wieder mit einem Landesbankkredit aus der Patsche helfen.“ Deshalb mauert die CSU: Die Kirch-Krise sei „Sache der Beteiligten“, hieß es gestern aus der Staatskanzlei. Und der Chef der Landesbank, Werner Schmidt, versicherte eilig, dass es keinen politischen Druck auf ihn gebe und dass er auch früher „nie eine Weisung der Landesregierung erhalten“ habe. Im Übrigen sei auch er für eine „nationale Lösung“ zusammen mit den anderen Kirch-Gläubigern wie der Deutschen Bank.

Hilferufe aus Bayern? Als Stoiber noch nicht Kandidat war, hatte man in München noch ganz anders getönt. „Wenn der Kanzler Holzmann retten kann, dürfen wir uns auch um Kirch kümmern“, sagte Staatskanzlei-Chef Erwin Huber, als er vergangenes Jahr zu den Milliardenkrediten befragt wurde.

Jetzt, wo Kirch Hilfe so nötig hätte wie nie, muss sich Stoiber zurückhalten. Hilfe aus Berlin kann er schlecht zurückweisen. Wenn der Kanzler als Kirch-Retter einspringt, wäre wenigstens das größte Fiasko – also eine Pleite – abgewendet. Aber gut sähe Stoiber auch nicht gerade aus: Emma Kellner, finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, spricht bereits vom „Gipfel der Demütigung für Stoiber, wenn Schröder eine Auffanglösung mitorganisiert und damit in Bayern Arbeitsplätze rettet.“