Die Paranoia der Peacemaker

Amerika geht uns alle an: Die Ausstellung „t.i.a“ im Medienzentrum Adlershof von Berlin untersucht die amerikanische Ikonographie

von BRIGITTE WERNEBURG

Um Amerika zu entdecken, heißt es weit nach Osten zu fahren. Das stellt die Geographie der Welt gewiss auf den Kopf – aber hier nur im Zusammenhang mit Kunst. Man fährt also weit in den Osten von Berlin, weil sich für die äußerst gelungene Gruppenausstellung „t.i.a. – This is America“ der Weg ins Kunst- und Medienzentrum Adlershof allemal lohnt. Hinter dem anspruchsvollen Namen verbirgt sich die alte Dorfschule von Treptow, in der – neben allerlei sozialen Einrichtungen – die Stadtteilbibliothek wie die kommunale Galerie untergebracht sind. In dieser kleinen Galerie wird zur Zeit nun die Geographie der Kunstwelt auf den Kopf gestellt. Denn „t.i.a.“ ist eine der bei weitem attraktivsten Ausstellung der Stadt. Daran ändert auch Bill Violas Eso-Kitsch nichts, der seit Samstag in dem Deutschen Guggenheim gezeigt wird.

„t.i.a.“ ist eine der seltenen Ausstellung, in der man den Kuratorinnen Ute Tischler und Antje Weitzel die entscheidende Rolle zusprechen darf. Das dichte Arrangement der Exponate ist das auffälligstes Merkmal der Gruppenschau: Die Arbeiten der eingeladenen 15 Künstler/innen kommunizieren ohne Gefälle im formalen und inhaltlichen Niveau vollkommen problemlos, geradezu schwerelos miteinander. Sie reiben sich, vor allem aber ergänzen sie sich. Das Motiv, das der eine aufnimmt, führt die andere fort, ein Dritter variiert es, und eine Vierte fügt eine neues, aber assoziativ einsichtiges Bild oder Thema ein.

Das bruchlose Verweben der einzelnen Arbeiten in den einen Text der Ausstellung, das den Kuratorinnen hier gelungen ist, rechtfertigt den apodiktischen Titel „This is America“. Man könnte nun mutmaßen, Amerika und seine Kultur stelle sich zeichenhaft tatsächlich so eindeutig dar, dass die Anschlussfähigkeit des amerikanischen Codes so hoch wird, dass er kaum Ausreißer zulässt. Dagegen steht allerdings die Beobachtung, dass die Künstler/innen neben den fetten Stereotypen durchaus Abwegiges und Kleinteiliges, auch Lokales wie etwa bei Alyssa DeLuccia oder Felix Stephan Huber thematisieren. Im Endeffekt schließt ihre Methode, ihre Herangehensweise die künstlerischen Standpunkte kurz. Einfache Beobachtung und Interviews auf der einen Seite, das Sammeln und Kommentieren der Medienbilder, sei es durch direkte, sei es durch nachfolgende Eingriffe auf der anderen Seite, sind die Instrumente der ausstellenden Künstler/innen. Mit ihnen konstruieren und dekonstruieren sie ihr Amerikabild, wie sie es – meist als Austauschstipendiaten – erfahren haben.

Ein fettes Stereotyp ist natürlich der Colt, Synonym für Handfeuerwaffen schlechthin. Mit „America’s Finest & Foremost Firearms Manufacturer“ hat sich Silvia Beck auseinandergesetzt. Ihr Fries aus geplotterten Folien, mit denen sie die Silhouetten der verschiedene Waffen direkt auf die Wand klebt, scheint die Besucher aus dem Eingangsbereich direkt in den ersten großen Ausstellungsraum zu schießen. Zumal mit dem Modell Peacemaker, „the gun that won the west“. Dort sind dann auch die Arbeiten von Albrecht Kunkel und Raphael und Tobias Danke situiert. Albrecht Kunkels Westernkulisse für The Making of Fountain I“ ist schon nur Kulisse, ein mit den Western aus der Mode gekommener Drehort. Kunkels Sicht der heutigen Landschaft scheint nicht anders denkbar denn als Projektion der Projektion des Once upon a time in America.

Diese Vorstellung haben die Brüder Danke in ihrer Installation „The End“ als einen Filmset nachgebaut. Freilich entpuppt sich ihr Westernset bei näherem Hinsehen als funktional wenig taugliche, abstrakte Skulptur. Ein Video inmitten des Szenarios ist als Abspann des fiktiven Films „The End“ konzipiert, der mit Bildmaterial aus der kalifornischen Wüste und den Suburbs von Los Angeles, Endsituationen im Western simuliert. Martin Liebschers „Unidentified Fotographic Objects“ bestehen aus gebrauchten Einwegkameras, die er in Raumschiffmodelle umbaut. Sie scheinen dann in einer Fotoserie an allen denkbaren, bekannten Natur- und Stadtlandschaften Amerikas zur Landung anzusetzen; das heißt, man sieht sie ziemlich komisch an einer dünnen Schnur in den gewählten Bildausschnitt hineinhängen. Auch Bettina Allamoda implantiert ein fremdes Bild in ihre stark bearbeiteten Bildvorlagen aus Filmen und Zeitschriften: Es ist ihr eigenes Bild, das mal völlig in der Themenpark-Architektur der Vorlage integriert scheint, mal distanziert das Model für die Werbebroschüre eines Flugzeugbauers abgeben kann.

Eine Variation dieser bildimmanten Kommentare zur amerikanischen Ikonographie, ist Bjørn Melhus dreiminütige Videokompilation „The Oral Thing“ von allerlei peinlichen Talkshow-Beichten, wobei die dialogische Struktur zu den Arbeiten von Ingo Vetter, Annette Weisser und Hans Winkler überleitet. Sie sind die Journalisten unter den Künstlern, ihnen geht es um Beobachtung, Befragung. „Detroit Industries“ von Vetter/Weiss fokusiert die Innenstadt des heute vollkommen deindustrialisierten Detroit und die überraschende Bewegung des „Detroit Agricultural Networks“, dessen hinreißenden Mitbegründer Lee Burns sie im Videointerview vorstellen. Hans Winklers dreiteilige Arbeit „9/11“ thematisiert ganz aktuell die Ereignisse des 11. September, die Diskussion um ein neues Gesetz zur nationalen Sicherheit und das Schicksal des einzigen amerikanischen Taliban-Kämpfer John Walker. Auch Corinna Weidners Medieninstallation „Dienstag in New York“ befasst sich mit dem 9. 11. Läge die Ausgabe von People Weekly nicht in ihrer Hörkabine aus, man würde glauben, die außen angebrachten Kopien, die ein vollkommen ungeniertes Zusammenspiel von Werbung und Reportage zeigen, wären gefälscht.

Obwohl sie schon 1997 entstanden, muss man André Korpys und Markus Löfflers Videoloops „World Trade Center“, „United Nations“, „Pentagon“ und „Amerika“, die die genannten Objekte und ihre Benutzer ausspionieren, passend zur Paranoia eines plötzlich verletzlichen Amerika sehen. Trotz eines seriösen dokumentarischen Gestus’ leistet die auffällige Ästhetik des Teleobjektivs der Aufladung der Bilder mit dunklen Wahnvorstellungen von Bankraub, Terrorismus und Mafia durchaus ironisch Vorschub. Aber ist das nun Amerika? Der Text der Ausstellung, ihr zugrunde liegendes Motiv, zielt nicht auf die Beantwortung dieser Frage. Amerika ist in dieser Ausstellung kein ideologisches Konstrukt, das entlarvt werden muss. Amerika, so das Einverständnis, geht uns an, kulturell und politisch. Amerika ist die Auseinandersetzung mit Amerika.

Bis 26. 2., Kunst- und Medienzentrum Adlershof, www.kmza.de