Der Fluch der lächerlichen Liebe

Das Leben in seiner durchschnittlichen Widersprüchlichkeit: Andreas Dresen überrascht in „Halbe Treppe“ (Wettbewerb) mit beiläufigem Witz

Das Gemeine an der Liebe ist, dass man sich gerade dann, wenn man es besonders ernst meint, so leicht lächerlich macht. Wie zum Beispiel Uwe, der seine untreue Gattin davon überzeugen will, dass er bereit ist, ihr zu verzeihen und ihr deshalb einen Herzenswunsch erfüllt. Als Ellen, ihrerseits vom Liebhaber verlassen, zurück in die eheliche Wohnung kommt, hat Uwe die ersehnte neue Küche eingebaut. „Neue Küche, neues Glück“, will er seine Angetraute wieder in Empfang nehmen. Da kann Ellen nur noch unter Tränen ausstoßen: „Du hast gar nichts verstanden, gar nichts.“ Und der Zuschauer lacht aus Beklemmung und sicher auch vor Erleichterung, jetzt nicht in der Haut der beiden zu stecken.

Dass es etwas zu lachen gibt, ist die große Überraschung an Andreas Dresens Film „Halbe Treppe“. Deutete doch alles – Besetzung, Schauplatz, Machart – darauf hin, dass er in Nachfolge seiner „Polizistin“ ein weiteres Mal ein melancholisch gepixeltes Porträt ostdeutscher Tristesse vorlegen würde. Die Ankündigung, die vier Hauptdarsteller Axel Prahl, Steffi Kühnert, Gabriela Maria Schmeide und Thorsten Merten hätten durch Improvisation vor der Digitalkamera das Drehbuch zu großen Teilen mit geschrieben, konnte diese Erwartungen nur bestärken. Die Kunst Dresens besteht nun darin, dass er die geweckten Erwartungen auf eine Weise übererfüllt, die ins Gegenteil umschlägt. An Stelle von Tristesse zeigt sein Film die nicht unwitzigen Untiefen des Alltags, an Stelle von sozialer Härte einfach zwei Ehepaare über dreißig in Beziehungskrise, weshalb der Zuschauer den Film mit einem angenehmen Gefühlsmix aus Amüsement und Mitleid verlässt. „Halbe Treppe“ ist so gesehen eine wirklich wohltuende Enttäuschung.

Der Blick hinein in zwei deutsche Wohnzimmer am östlichen Rand der Republik beginnt mit einem Diaabend, jener berüchtigten Veranstaltung, die jeder im Leben mal ausrichtet und bei der hinterher nie jemand dabei gewesen sein will. Auf dem Weg nach Hause lästern denn auch Chris und Katrin über ihre Gastgeber: „Die können manchmal auch ganz schön nervig sein“, sagt sie. „Vor allem Ellen“, sagt er. Wenige Tage später fängt er mit ihr ein Verhältnis an. Was nicht unbedingt heißt, dass Chris besonders verlogen wäre, sondern ihn lediglich als vollkommen durchschnittlich widersprüchlich ausweist.

Das ganz normale Leben in seiner ganz normalen abgründigen Banalität zu zeigen, nehmen sich die meisten vor, die zur digitalen Handkamera greifen. Aber nur wenigen gelingt jene präzise Beiläufigkeit, mit der in „Halbe Treppe“ die schon tausendmal erzählte Geschichte eingefangen wird, wie der Ehebruch in die Paarfreundschaft eindringt. Was in vielen Dogma-inspirierten Filmen inzwischen zur Authentizitätspose verkommt, wirkt bei Dresen wieder frisch wie beim ersten Mal; nie hat man hier den Eindruck, dass durch schlechte Ausleuchtung oder verwackelte Bilder Unmittelbarkeit suggeriert werden soll – sie ist ganz einfach da.

Dass Dresen mit „Halbe Treppe“ gelingt, woran andere mit technischem Mehraufwand scheitern, liegt auch an den hervorragenden Schauspielern, die der Kamera Stand halten können, die ihnen so dicht auf die Pelle rückt. Vor allem aber an seinem Mut zur Leichtigkeit: Trotz Verpflichtung zur Authentizität leistet er sich einen Running-Gag, wie den mit dem Straßenmusiker. Der geht Uwe zuerst mächtig auf die Nerven, als er vor seiner Imbissbude aufspielt. Und täglich werden es mehr! Bald steht da ein ganzes Orchester. Am Ende bittet er sie zu sich herein. Denn Uwe ist ein großzügiger Mensch, der die eigenen Verluste durch Geschenke an andere ausgleichen möchte. Auch so eine vollkommen durchschnittliche Widersprüchlichkeit. BARBARA SCHWEIZERHOF

„Halbe Treppe“. Regie: Andreas Dresen. Deutschland 2002, 105 Minuten