„Realismus wäre ein Fake“

Der Bilderstürmer: Ein Gespräch mit Dominik Graf über die Erzähltechnik in seinem Film „Der Felsen“ (Wettbewerb), die Vorteile der Arbeit mit der DV-Kamera und den neuen Wind bei der Berlinale

Interview ANDREAS BUSCHE

taz: Herr Graf, Sie gelten als jemand, der stark von der Imaginationskraft der Bilder überzeugt ist. Immer wieder haben Sie gesagt, dass der deutsche Films dazu neige, zu viel erklären zu wollen und dabei zu wenig zu zeigen. Wieso haben Sie ihren neuen Film „Der Felsen“ dann so sehr mit Off-Kommentaren zugetextet?

Graf: Im Film bekommen die Dinge in der Sprache noch einmal eine ganz andere Begrifflichkeit. Man glaubt, etwas zu sehen. Aber ich meine trotzdem, dass zwischen Sprache und Bild eine Diskrepanz herrscht. Ich bezweifle, dass es wirklich das Benennen von dem, was man im Bild sieht, ist. Ich denke, das könnte man anhand verschiedener Einstellung auch widerlegen.

Ich steige aber momentan selbst noch nicht ganz dahinter, was es genau ist. Es könnte sein, dass Sie das so empfinden, dahinter aber noch was ganz anderes steckt, was ich selber auch noch nicht ganz begriffen habe.

Ihre Filme waren bisher immer eher weniger als zu viel. Das machte sie so besonders.

Vor den Bildern an sich habe ich nicht so einen wahnsinnigen Respekt. Wir nehmen die Bilder langsam auch viel zu wichtig, scheint mir. Dass man über den Ausdruck eines Bildes keinen Text legen darf, ist mir eigentlich wurscht.

Ich hatte bei „Der Felsen“ das Gefühl, dass über dem, was erzählt wird, noch eine andere Schicht liegt: so, als würde man über eine Landkarte noch eine weitere Folie mit anderen Linien legen. Außerdem habe ich versucht, den Erzähler lediglich als Option anzubieten. Denn die Erzählerstimme bietet ja auch nur Möglichkeiten an. Es ist sozusagen die Stimme des Systems, die Schicksalsgöttin. Ich wollte den Film nicht zu fest zurren.

Das hängt auch mit der DV-Arbeit zusammen: Es soll fließen, ich möchte es flüchtig halten. Momente sollen Momente bleiben. Wenn die Erzählerin redet, dann redet sie, und umso bedeutsamer werden die Momente, in den dann plötzlich geschwiegen wird. Das alles lebt von den Kontrasten. Aber vielleicht liege ich damit ja auch völlig schief.

Der Film ist sehr durch seine Struktur bestimmt – auch darin, wie die Objekte eine eigene Dynamik entwickeln. Die Gegenstände bewegen sich durch die Geschichte und erzählen sie, als hätten sie ein eigenes Gedächtnis – ein Prinzip, das im Film durch einen afrikanischen Straßenhändler repräsentiert wird, der seine Geschichten um bestimmte Objekte knüpft. Haben Sie danach Ihre Story ausgerichtet?

Das hat sich entwickelt. Am Anfang stand das Wissen über die Camps von Calvi (Umerziehungscamp für straffällig gewordene Jugendliche auf Korsika, d. Red.). Während der Ausarbeitung der Geschichte bemerkten wir aber sehr schnell, dass die Gegenstände eine Art Tanz aufführen. Und schließlich habe ich mich dazu entschieden, diese Erkenntnis zur Behauptung des Films zu machen und die Struktur wie eine Folie über die Geschichte zu legen. Darum und darum geht’s . Der Rest – etwa die Unabhängigkeit der Figuren von dieser Struktur – ist Illusion.

War die Wahl der DV-Kamera eine künstlerische Entscheidung oder eine finanzielle?

Wir hatten schon bei „Der Skorpion“ unser Drehteam auf einen Rumpf von knapp zehn Leuten reduziert. „Der Felsen“ war dahin gehend die konsequente Weiterführung. Und die Arbeit mit DV war wirklich ein Akt der Befreiung.

Klaus Lemke sagte, Sie hätten ihm erzählt, dass Sie, seit es die DV-Kamera gibt, wieder richtig Lust bekommen hätten, Filme zu machen.

Ja, DV-Bilder haben eine Unwertigkeit: Sie sind viel flüchtiger. Und, wie Sie eben schon meinten, fällt der Rattenschwanz an Mitarbeitern weg.

Was Sie immer als größtes Problem am Produktionsprozess gesehen haben. In Hollywood ist die Handkamera eine ästhetische Erwägung, im deutschen Film eine logistische?

Bei „Der Felsen“ war das nicht zu trennen. Wenn man das nur zu einer formalen Frage erhebt, den Film aber so dreht wie auf 35 mm, hat man die meisten Vorteile einer DV-Kamera letztlich verschenkt.

Trotzdem vermeiden sie die typische „Dogma“-Ästhetik.

Sicher, weil mir natürlich klar ist, dass Realismus im Kino nur ein Fake sein kann. Wir machen eine Szene zu einem realistischen Event, und im nächsten Moment begeben wir uns in eine fast antikische Höhe und konterkarieren diese Authentizität damit sofort wieder.

Sie sind jetzt unter der Leitung von Kosslick zum ersten Mal im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Späte Genugtung?

Ich glaube, dass die Berlinale unter Kosslick einen größeren Horizont bekommen wird. Für den ist ein kommerzieller Film genauso gut oder schlecht wie ein experimentieller. Es geht einfach um Qualität – oder was persönlich gefällt. Diese Trennung ist ein sehr deutsches Problem. Das kriegt man wahrscheinlich auch nicht mehr aus uns raus.