Mach es wie die Simpsons

Den Mainstream mit seinen eigenen Mitteln unterlaufen, antiakademische Filme drehen: Alexander Kluge wird heute 70, und auf der Berlinale läuft sein 23 Jahre alter Film „Die Patriotin“ (Wettbewerb)

von DIETRICH KUHLBRODT

Alexander Kluge wird heute 70. Er war 47, als er „Die Patriotin“ drehte. Sie wird heute zu seinen Ehren im Wettbewerb der Berlinale gezeigt. Der Film steht für die eigensinnige Strategie, sich einen Vers zu machen auf das, was draußen in der Welt passiert, und gleichzeitig auf das mit einem selbst. Um das zu erfahren, muss sich die Geschichtslehrerin Gabi Teichert (Hannelore Hoger) frei von dem machen, was die diversen Gewalthierarchien angeblich längst geklärt haben. Sie nimmt den Spaten und gräbt sich durch Sedimente von Strukturen und Geschichte, die eigene inbegriffen.

Das passt in die Zeit, in der Basisdemokratie gepflegt wurde. Doch würde Kluge das Wort nicht in den Mund nehmen. Wer akademische Vorgaben exekutiert, altert schnell. „Filmemachen ist strikt antiakademisch“ (Kluge 1979). Es wäre daher verfehlt, dann, wenn man über die „Patriotin“ schriebe, den doch schon bedenklich an der Grenze zur Pensionierung stehenden Begriff „Dekonstruktion“ zu verwenden oder so etwas zu behaupten wie, dass unsere grabende Geschichtspädagogin die Funde ihrer Geschichte eigenmächtig kontextualisiere oder auch nur dass sie die Geschichte des Landes mit dem Sensorium ihrer Lebenserfahrung rezipiere und infolgedessen Patriotin ihrer selbst sei.

Klingt das jetzt nach Kultur und Feuilleton? Alles akademisch geklärt – und falsch. Wir müssen nicht nach oben gucken, wer uns wohl was zu sagen hat. Wir haften lieber am Boden. Vielleicht sprudelt es da. Ein Jungbrunnen? – Ich möchte darauf hinaus, dass Kluge, Patriot unserer, seiner Geschichte, seines Werks – dass Kluge dank der hierarchiefreien Strategie auf eventuell gar nicht wundersame Weise jung geblieben ist.

Gibt es ein Alterswerk? Nicht die Spur! Vom Oberhausener Manifest und der Gründung des Ulmer Instituts (1962) bis zu seinem Kulturfenster in RTL und Sat.1 (2002): es wird gegraben, zusammengetragen, erfahren, wahrgenommen: von Kluge selbst und dann von dem, der Kluge sieht und seinen eigenen Lebenszusammenhang hat. In der Vorstellung heute im Wettbewerb entstehen so viele Filme, wie Zuschauer da sind. Die gleiche Anzahl Patriotinnen und Patrioten sind dann von Kluge produziert worden.

Pathetisch klingt das, aber zu einer Hommage darf man das doch bitte schön sagen. Und wieso platziert er sich mit seiner Gesellschaft, der Development Company for Television Programs (dctp), auch Kluge-Fernsehen genannt, in kommerziellen Sendern? Eben das ist die Strategie, die sich 1979 des Patriotismus angenommen hatte, der ja nicht minder Mainstream gewesen war.

Gibt es eine Kluge-Schule? Nein! Merkwürdig. Wir brauchen ihn also. Mein Wunsch: er möge doch an einem seiner sonntäglichen Prime-Time-Termine (vor vier Tagen: „Siegfrieds Tod“) zu den Cartoon-Strategen der „Simpsons“ Kontakt aufnehmen, damit man tags drauf zur Prime Time in Pro7 (kommerziell) erfahren und wahrnehmen kann (rezipieren und kontextualisieren, verflucht noch mal), wie es auch dort funktioniert, den Mainstream mit den Mitteln des Mainstreams zu untergraben (die Simpsons wohnen in Springfield, USA, um das zu Ehren dieser Nation dann doch zu sagen).

So. Das war mein Zusammenhang. Weil ich grade das neue Buch von Schüren („Die Simpsons – Subversion zur Prime Time“) gelesen habe. Tut mir Leid, aber so funktioniert die Strategie. Hannelore Hoger, die Patriotin, bringt weitaus Befremdlicheres in ihren Kontext ein. Ein Knie. Ein altes. Von der Generation davor. Etwas Untotes guckt sie an. Das Knie des Obergefreiten Wieland, der in Stalingrad fiel. Eine eigentümliche, nicht minder eigensinnige Subjektive – neben der des zeitgenössischen Parteitags der SPD. Oder der des Polizeikommandos, das das Kaufhaus räumt. „Nicht EINE Geschichte, sondern VIELE Geschichten. Das bedeutet Montage“ (Kluge). Und Kooperation. Einmontiert ist das „Bundeswehrlied“ von Margarethe von Trotta. – Schnitt: Beate Mainka-Jellinghaus. Sie ist Trümmerfrau. Sie klebt und presst zusammen, was auf dem Weg des Fortschritts entsorgt wurde, liegen blieb, vielleicht doch nicht ganz kaputtging, wieder verwertbar ist. „Die Patriotin“ ist ein Film, den der Zuschauer jetzt, 23 Jahre danach, mit dem zusammenmontieren kann, was er erlebt und erfahren hat. Das Verfahren ist alt. Zuschauerfilme gab es längst vorm Kinofilm. „Autoren ihrer Erfahrung sind alle Menschen.“ (Kluge 1979). Also los geht’s, und wenn’s was ist, was in den Sondermüll gehört. Oder ins Grab:

„Ein Knie geht einsam um die Welt. Es ist ein Knie, sonst nichts. Es ist kein Baum, es ist kein Zelt. Es ist ein Knie, sonst nichts“ (so zitiert Kluge im Buch „Die Patriotin“ Christian Morgenstern).

„Der rote Faden drückt Erfahrung aus dem Film heraus“ (Kluge, 1979). Wenn es heute doch einen roten Faden gibt, dann den der Kluge-Hommage, die sich durch die Festspiele zieht. Gleich heute, 14. 2., um 10 Uhr zeigt das Filmmuseum Maximiliane Mainkas Kluge-Porträt „Hunger nach Sinn“, gefolgt von „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ (1984). In den „60’s“ laufen „Abschied von gestern“ und „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“. Morgen, am 15., lesen Alexander Kluge und Hannelore Hoger im Filmmuseum. Am selben Tag präsentiert dort der Suhrkamp-Verlag das neue Buch über Kluges Fernsehen.

„Die Patriotin“. Regie: Alexander Kluge. Deutschland 1979, 121 Min.