Alleinerzieher ohne Freibetrag

Das macht auch Kanzlers Schwester Ilse nervös. Daher zieht sie mit 94 Alleinerziehenden vors Verfassungsgericht, um den gestrichenen Steuerfreibetrag wiederzubekommen

FREIBURG taz ■ Diese Aktion passt nicht ins Bild einer familienfreundlichen rot-grünen Regierung. Pünktlich zum Wahlkampfbeginn klagen heute Alleinerziehende vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen, dass sie seit Jahresbeginn mehr Steuern zahlen müssen. Peinlich ist die Klage auch für Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) – eine der Klägerinnen ist seine Halbschwester Ilse Brücke.

Bis 2005 wird die rot-grüne Koalition den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende auf null abschmelzen und damit auch die Steuerklasse 2 streichen. „Die Alleinerziehenden werden dann besteuert wie Singles“, kritisiert Peggy Liebisch, Geschäftsführerin des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. Einelternfamilien mit einem moderaten Bruttojahreseinkommen von 23.000 Euro müssen schon in diesem Jahr 168 Euro mehr an Steuern zahlen. Der Einnahmeausfall steigt dann bis auf rund 850 Euro pro Jahr. Bis Jahresbeginn konnten Alleinerziehende noch einen Haushaltsfreibetrag von 5.616 Mark pro Jahr geltend machen.

Der Bundesregierung reicht die Verantwortung für die Kürzung gern ans Verfassungsgericht weiter. Karlsruhe hatte erst 1998 eine Benachteiligung von verheirateten gegenüber ledigen Eltern kritisiert hatte – unter anderem weil allein ledige Eltern den Haushaltsfreibetrag in Anspruch nehmen konnten. Der Bundestag hat seither die Familienförderung reformiert und neue Freibeträge für Betreuungs- und Erziehungskosten eingerichtet, die aber nur Spitzenverdiener voll ausnützen können. Normalverdiener erhalten dafür ein erhöhtes Kindergeld. Während verheiratete Eltern am Ende der Reform deutlich besser dastehen als zuvor, schließen Alleinerziehende überwiegend mit einem Minus ab. Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) verteidigt das nur matt: Sie nimmt für Rot-Grün in Anspruch, den Haushaltsfreibetrag nicht sofort gestrichen zu haben, sondern ihn „sozialverträglich“ und stufenweise abzubauen.

Dagegen rufen nun die Alleinerziehenden das Verfassungsgericht an. Die Erhöhung der Steuerlast gerade für ihre Gruppe sei ein Verstoß gegen das Prinzip der „Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit“, erklärt Anwalt Frank Wieland. Er fordert die Wiedereinführung des Haushaltsfreibetrags zusätzlich zur Kindergelderhöhung.

Ob die Alleinerzieher damit in Karlsruhe durchkommen? Wenig gefallen wird den Richtern, dass sich die Verfassungsbeschwerden direkt gegen das Gesetz wenden – nur so können die Alleinerzieher ihre Klage pünktlich zum Wahlkampfbeginn einreichen. Juristisch korrekt hätten die 95 klagenden Mütter und Väter zuerst einzelne Steuerbescheide anfechten müssen. Das wird nun parallel erledigt, damit das Verfahren auch auf dem normalen Instanzenweg Karlsruhe erreicht. Nur für den Fall, dass die Richter die heute eingereichten Show-Verfassungsbeschwerden nicht annehmen.

CHRISTIAN RATH

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