Die Negation der Farbe

Er fühlte sich verkannt: Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt zeigt in einer Ausstellung den Komponisten Arnold Schönberg als Maler von verwaschenem Grün und Braun, von stumpfen Blicken und dunklen Schattengesichtern

Die Hängung meidet das Offensichtliche, die Bilder wollen „entdeckt“ werden. Auf der rückwärtigen schiefergrauen Wand findet man das grüne „Denken“. Nur die Schädeldecke Arnold Schönbergs ist zu sehen, die mit dunklem Haar umrandete Glatze. Darüber ein verwaschenes Grün mit Braunabmischung. Als Schönberg später Wassily Kandinskys Abhandlung „Über das Geistige in der Kunst“ kennen lernt, in der er Farbeigenschaften und Klangfarben beschreibt, wird er Kandinsky zustimmen. Kandinsky hielt das Grün für passiv, unbeweglich, Braun für stumpf, hart und gehemmt. Der Text Kandinskys entsteht 1910, im gleichen Jahr wie der Großteil der Bilder Schönbergs entsteht und seine einzige Einzelausstellung zu Lebzeiten stattfindet – im Wiener Kunstsalon Haller. Schönberg ist 36 Jahre alt. Zwei Jahre vorher hat er die Atonalität in seine Musik eingeführt, elf Jahre später kommt er zur ersten Anwendung der „Methode zur Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“. Schönberg ist Autodidakt in der Musik wie in der Malerei.

Als sich Schönberg und Kandinsky 1911 kennen lernen, wird Kandinsky versuchen, Schönberg schönzuschreiben. „Nurmalerei“ nennt er seine Bilder, reduziert auf das Wesentliche, den Ausdruck. In Negierung der Farbe habe Schönberg mit dem so genannten Palettenschmutz gearbeitet. Kandinskys Bemühungen bleiben erfolglos: Die Bilder werden von Künstlern und Kritikern gleichermaßen abgelehnt, und Schönberg zieht sich verbittert zurück. 1914 versucht Kandinsky, ihn in einem Brief zu trösten: „Das Geheimnis ist käuflich geworden. Freuen Sie sich, dass niemand verstehen will, was Sie machen.“ Erst durch seine Schüler wird Schönberg berühmt, durch Alban Berg, Webern, Eissler, später John Cage.

Schönberg selbst schrieb 1911 in seiner Abhandlung „Probleme des Kunstunterrichts“ Kunst komme „nicht von Können, sondern von Müssen“. Und weiter: „Das Geniale lernt also eigentlich nur an sich selbst, der Talentierte hauptsächlich am anderen.“ Er sah sich selbst als Genie. Über einem seiner Porträts steht „Bildnis des Meisters“, und er schrieb an seinen Musikverleger, „… dass es doch viel interessanter ist, von einem Musiker meines Rufes gemalt zu werden, als von irgendeinem Kunsthandwerker, dessen Namen in 20 Jahren kein Mensch mehr kennt, während meiner schon heute der Musikgeschichte angehört.“ Schönberg hat überwiegend sich selbst gemalt. Sein Gesicht, seine Augen. Kandinsky nannte die Bilder „Visionen“, er selbst „Blicke“. Es sind stumpfe Blicke, ausdruckslos. Farblose Schattengesichter über dunklen Anzügen und eng gebundenen Krawatten. Oft malt er sich nur mit einem Ohr. Erst nach Schönbergs Tod werden seine Bilder wieder gezeigt. Dabei wurde der Maler nie losgelöst von dem Komponisten betrachtet.

Auch Max Hollein, der neue Leiter der Frankfurter Kunsthalle Schirn, bleibt bei diesem konservativen Ansatz. Eventcharakter hat zumindest der Eröffnungsabend, bei dem in der versuchten Lounge-Atmosphäre bei gedämpftem Licht Diedrich Diederichsen anstelle von Gurreliedern und Opernfragmenten Schönbergs Zappa, Brötzmann und die Beatles auflegt und von „Fluchtlinien Schönbergs“ spricht. Näher an Schönberg dran sind da eher die stillen Sätze der Nuria Schoenberg Nono.

Im Gespräch gibt sie kurze Einblicke in das Leben mit ihrem Vater im amerikanischen Exil, in dem der Umlaut des Namens sich ebenso verflüchtigte wie die Malerei Schönbergs. Die zarte 69-jährige Witwe des Komponisten Luigi Nono wird wieder zum Kind im kalifornischen Haus der Familie. Sie erzählt, dass der Vater auch abwaschen musste, dass er „Dinge“ erfunden habe, wie seine patentierte Notenschreibmaschine. Das Arbeitszimmer, sagt sie, sei immer abgeschlossen gewesen. Hier hingen auch einige seiner Bilder, wie „Grünes Selbstportrait“. Die anderen Bilder lagen verwahrt in Schubladen.

Er war überzeugt, dass sie eines Tages von unschätzbarem Wert sein würden, und sah sie als Erbe für seine Kinder. Im Gegensatz zu seinen Partituren, die für ihn keinen materiellen Wert zu haben schienen. Nuria Schoenberg Nono erinnert sich auch an einen Metallkasten, in dem die Ölfarbtuben aufbewahrt waren. Und an die Palette. Als Schönberg 1951 in Los Angeles starb, waren die Farben in seinen fast 20 Jahren in Amerika nicht mehr berührt worden. MAXI SICKERT

„Die Visionen des Arnold Schönberg“, Kunsthalle Schirn, Frankfurt, noch bis zum 28. April 2002, Katalog: 25 €