Der Steinzeitjournalist

Peter Scholl-Latour ist 50 Jahre durch Afrika gereist, ohne sich um die Menschen und die Politik zu kümmern. Jetzt hat er seine Vorurteile und Ressentiments noch einmal in einer eitlen Selbstdarstellung zusammengefasst. Eine Warnung

von ULRIKE HERRMANN

Die Nacht ist schwül, der Dschungel brütet, die Kerze flackert und „in der Ferne rattern Feuerstöße“. Doch auch im kongolesischen Bürgerkrieg bleibt Peter Scholl-Latour ganz lässig, räkelt sich in einer Kaschemme bei einer „späten Whisky-Runde“. Das Vorbild ist klar, wird anderswo genannt: der Italowestern. Und wie es sich gehört, ist der Saloon leer, wenn es gefährlich wird. Nur der griechische Barbesitzer und ein Exkolonialbeamter sitzen bereit zu einem „konfusen Gedankenaustausch“, während draußen Schüsse knallen.

Diese kleine Szene enthält das ganze Buch: Es wird eine Abenteuergeschichte versprochen, aber nicht erzählt. „Konfuser Gedankenaustausch“, damit beschreibt Scholl-Latour seine „afrikanische Totenklage“ sehr treffend. Als Kriegsreporter hat er den Kontinent fast ein halbes Jahrhundert bereist, jetzt verabschiedet er sich von ihm, frischt im Alter von 77 Jahren seine Erinnerungen auf. Allerdings bleiben die fast so ungeordnet wie im wahren Leben, da sie vor allem „auf persönliche Erfahrungen oft anekdotischen Charakters“ zurückgehen.

Diese Anekdoten sind vom imperialen Klischee meist nicht zu unterscheiden. So wird von einem Tutsi-Oberst aus Ruanda berichtet, dass er seine Erläuterungen „mit einer distanzierten Erheiterung vorträgt, die einem europäischen Kolonialoffizier gut angestanden, die man einem Afrikaner nicht zugetraut hätte“. Über Intellektuelle des Südsudan erfahren wir: „Ich bin von dem akademischen Niveau und von der Kompetenz dieser Runde angenehm überrascht.“ In Kongo und Guinea wiederum gibt es tatsächlich Einheimische, die „fehlerfreies Französisch“ sprechen, und in Angola „begegneten uns die Menschen in den Rundhütten freundlich“. Diese stete Überraschung insinuiert, was Scholl-Latour anderswo knallhart konstatiert: Afrika ist für ihn letztlich eine „prähistorische Unterwelt“, beherrscht von einer ewigen „urzeitlichen Stammesfehde“, in der sich „ungezügelte Raubinstinkte“ entfesseln, „die sich jeder rationalen Analyse“ entziehen. Scholl-Latour fühlt sich „zurückversetzt in die Zustände menschlicher Frühentwicklung“.

Ein Internetcafé in Angola kann Scholl-Latour daher nicht so recht einordnen: Es ist „eine Installation, die man hier am wenigsten erwartet hätte“. Und es folgt in patriachalischer Güte: „Aber viele Afrikaner legen eine spontane, spielerische Begabung für komplizierte Computer-Manipulationen an den Tag.“

Immerhin ist Scholl-Latour so fair, auch die Europäer nur in rassischen Kategorien zu beschreiben. Zu den Portugiesen fällt ihm ein: „Es steckt viel Härte in diesem unscheinbaren, immer traurigen Menschenschlag.“ Bei den weißen Namibiern „paart sich burische Schwerfälligkeit mit deutscher Verschlossenheit“. Und über einen Iren in Liberia heißt es, dass er den „skurrilen Einfallsreichtumg seiner keltischen Rasse“ besitzt.

Aber ob skurriler Kelte oder weltläufiger Tutsi-Oberst – immerhin kommen sie vor. Denn die meisten Einwohner Afrikas werden ignoriert. Frauen etwa haben vor allem als Sexualobjekte zu dienen. Über die Dinka im Südsudan: „Weibliche Schönheit ist hier nicht anzutreffen. Die Busen sind platt und ausgezehrt, die Beine knochig und dürr.“ Über eine Begegnung in Kampala: „Ich habe meine frühen Afrika-Jahre gewiss nicht im Zustand der Keuschheit verbracht, aber diese kleine, brave Hotel-Hure wird mir mehr als manche andere in Erinnerung bleiben.“ Über Voodoo-Priesterinnen: „Die meisten sind alt und abstoßend hässlich.“ Und schließlich über eine Japanerin, die für die UN arbeitet: „Ich habe schon hübschere Asiatinnen gesehen.“ Mehr erfährt man von den Frauen nicht, noch werden Bauern oder Slumbewohner je erwähnt: Mann muss schon mindestens Gastwirt, Pilot oder Fahrer sein, um einen militärischen „Lagevortrag“ halten zu dürfen. Denn Ziviles langweilt. Scholl-Latour ist stets glücklich, wenn sein „illusionsloses“ Gegenüber möglichst schnell begreift, „dass ich mich nicht sonderlich für die statistische Aufzählung von Mais- und Maniok-Transporten interessiere, sondern dass es mir um die Erkundung der politisch-strategischen Situation […] geht.“

An dieser politisch-strategischen Situation gibt es aber anscheinend nicht viel zu verstehen, wird doch eine einzige Analyse immerzu wiederholt: In Afrika tobt ein Krieg um Diamanten und Gold, um Kupfer, Uran und Öl, um Kobalt und Coltan. Die wahren Kontrahenten sind die USA und Frankreich, die ihre kommerziellen Interessen jedoch maskieren, indem sie Stammesfehden anheizen und Söldnertruppen finanzieren (s. u. Dominic Johnsons Text).

Angesichts dieser „Lage“ können die Hilfsaktionen der NGOs – ob im Südsudan oder in Angola – nur naiv und von „zweifelhaftem Nutzwert“ sein. Es sind eben „selbst ernannte Menschheitserretter“ und „hauptberufliche Katastrophen-Begleiter“. Gleiches gilt für die UN-Institutionen, die allesamt einen „dilettantischen, ja kläglichen Eindruck“ machen. Oft genug ist dem „illusionslosen“ Kriegsreporter das „inkompetente, überflüssige Personal auf die Nerven gegangen“.

Scholl-Latour trifft auch Nadine Gordimer, die weltberühmte Schriftstellerin aus Südafrika. Was ist zwischen ihnen passiert? Was hat sie ihm gesagt? Wir erfahren nur, dass Tee getrunken wurde. Hat sie etwa Analysen abgegeben, die ihm nicht passen?

In der Elfenbeinküste ist es jedenfalls so weit: „Ein gewisser Ekel kommt hoch.“ Scholl-Latour braucht zwar fast vierhundert Seiten, um sich einzugestehen, dass ihn Afrika anwidert – doch seine „Totenklage“ schwitzt dies ab der ersten Zeile aus. Sie ist ein schreckliches Zeugnis des Ressentiments und der Selbstüberschätzung. Und ein Bestseller. Leider.

Peter Scholl-Latour: „Afrikanische Totenklage. Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents“, 480 Seiten, C. Bertelsmann, München 2001, 24 €