Mit drei Filmen nach Berlin verrückt

■ Mit „Verrückt nach Paris“ lief auf der Berlinale Bremens erste bedeutende Kinoproduktion seit 1968. Leider stellte Bremen mit „Francisca“ auch einen der langweiligsten Beiträge. „Mein kleines Kind“ ist Lebenshilfe

Soviel Film aus Bremen gab es noch nie auf der Berlinale! Dieter Kosslick sei es gedankt, denn in der von ihm neu konzipierten Filmreihe „Perspektive Deutsches Kino“ liefen alleine zwei von diesen Werken, die im letzten Jahr noch keine Chance gehabt hätten, im Festivalprogamm aufgenommen zu werden.

Die Reihe war ein überraschender, fast sensationeller Erfolg mit fast durchweg überfüllten Vorstellungen und einem meist positiven Presseecho. Für die Premiere von „Verrückt nach Paris“ war es schon lange vorher fast unmöglich, noch Karten zu bekommen. Aber das lag wohl auch daran, dass viele Bremer Kultur-Schlachtenbummler extra für dieses Event angereist waren. Man mag darüber streiten, ob es nicht des Guten etwas zu viel war, wenn sogar Bürgermeister Henning Scherf dem Film bei der Premiere durch Erscheinen seinen Segen gab, aber „Verrückt nach Paris“ ist nun einmal die einzige bedeutende hiesige Kinoproduktion seit Zadeks „Ich bin ein Elefant, Madame“ von 1968.

Pago Balke und Eike Besuden begleiten schon seit Jahren das Bremer Blaumeier-Projekt, in dem Behinderte Theater spielen: der eine als Regisseur und Schauspieler, der andere als Fernsehmacher und Dokumentarfilmer. „Verrückt nach Paris“ ist nun die Fortsetzung dieser Arbeit mit anderen Mitteln: Ein Spielfilm, in dem drei der behinderten SchauspielerInnen in den Hauptrollen zu sehen sind, während bekannte professionelle FilmdarstellerInnen wie Dominique Horwitz, Martin Lüttge, Corinna Harfouch und Hella von Sinnen die zweite Geige spielen.

Merkwürdigerweise funktioniert nun im Film das, was man für das Hauptproblem halten könnte, am Besten: Der schwer contergan-geschädigte Frank Grabsi, Paula Kleine, die 30 Jahre lang in Psychiatrien verbrachte und Wolfgang (Faust) Göttsch wirken wunderbar im Film: Mit ihren Behinderungen wird ganz selbstverständlich umgegangen, man lacht viel mit ihnen und nie über sie, und als inzwischen erfahrene Blaumeier-Schauspieler sind sie auch vor der Kamera sehr präsent und sympathisch.

Es war auch eine klugen Entscheidung, Paula Kleine als Off-screen-narrator einzusetzten, so konnten durch ihren lakonisch, naiven Erzählstil viele Löcher im Drehbuch halbwegs geschickt kaschiert werden. Denn Pago Balke und Eike Besuden mögen durch ihre Vertrautheit mit den Blaumeiers diese zu Leistungen vor der Kamera bringen, die sonst kein Filmemacher erreichen könnte, aber begnadete Drehbuchautoren sind sie nun ganz bestimmt nicht.

Der Plot ist schon schlicht genug: Die drei Helden reißen aus ihrem Behindertenheim aus, reisen mit der Bahn zuerst nach Köln und dann nach Paris und treffen dort nur liebe Leute, während sie von ihrem bösen Betreuer verfolgt werden, der dann in Paris aber auch ganz lieb wird, nachdem er eine der Lieben nett findet. Naives Kino ist das, oft in der Ausführung charmant unbeholfen – aber es laufen auch Motive ins Leere, dramaturgische Höhepunkte werden verschenkt und man versteht nie so richtig, warum die Drei nun überhaupt abhauen. Die Motivationen werden eher behauptet als fühlbar gemacht.

Da wäre es klug gewesen, wenn Balke und Besuden sich bei der großen Hilfe, die ihnen in der Bremer Filmszene zuteil wurde (anscheinend hat fast jeder mal die Rohfassung gesehen und wurde um seinen Rat gefragt), nicht erst nach dem Dreh, sondern schon bei der Drehbuchentwicklung etwa von einem Theaterdramaturgen hätten helfen lassen. So wünscht man dem Film bei aller Sympathie oft, er wäre besser.

Das wäre er wohl auch, wenn Dominique Horwitz nach den ersten Drehtagen gefeuert geworden wäre, denn man hat selten einen so begabten Schauspieler so offensichtlich nur Dienst nach Vorschrift machen sehen. Aber all dies verdarb zumindest den Premeriegästen nicht den Spass am Film. Der Beifall war enthusiastisch, und als Paula Kleine und Wolfgang Götsch auf die Bühne kamen (Frank Grabski war leider krank), gab es „Standing Ovations“. Trotz der Einschränkungen also ein großer Abend in der winzigen Bremer Filmgeschichte, und bald gibt es auch eine Heimpremiere von „Verrückt nach Paris“ in der Schauburg.

Der autobiographische Dokumentarfilm „Mein kleines Kind“ (vom Bremer Filmbüro mitfinanziert) ist fast unmöglich als reiner Film zu beurteilen, denn die Filmemacherin und Hebamme Katja Baumgarten hat ihn distanzlos als das Tagebuch einer ihrer Lebenskrisen gestaltet, so dass man zwangsläufig mit dem Film zugleich auch ihr Leben kritisieren müsste, und dies wäre vermessen.

Bei einer Ultraschalluntersuchung wurde in der Mitte ihrer Schwangerschaft eine schwere Chromosomenanomalie festgestellt. Der Facharzt für Pränataldiagnostik riet ihr dringend zu einem Schwangerschaftsabruch, doch sie entschied sich, das Kind auszutragen. Sie wollte es allerdings nicht im Kreißsaal entbinden lassen, wo es dann in einer Intensivstation so lange am Leben gehalten worden wäre, wie es die Technik heute möglich macht. Stattdessen wollte sie es nach einer Hausgeburt natürlich gebären und dann leben oder sterben lassen.

Der Film ist stilistisch genauso kompromisslos wie diese Entscheidung: Der Kontrast zwischen den kalten Medizintechnologen und der warmen Atmosphäre, die die Schwangere in der Familie und bei Freunden erfährt, wird bis ins kleinste Detail hinein dargestellt. Es ist für einen gänzlich Unbeteiligten nicht einfach, sich diesen Film anzusehen. Aber für schwangere Frauen mit dem gleichen Dilemma könnte er eine sonst totgeschwiegene Alternative aufzeigen. Und so eine wichtige Lebenshilfe sein.

Und dann war da noch „Francisca“, ein mexikanischer Film, den der Bremer Filmverleih Surfilm koproduziert hat, und der von der Bremer Investitionsgesellschaft gefördert wurde.

Die Regisseurin Eva Lopez-Sanchez erzählt von einem Stasispion, der 1971 (deshalb lief der Film in der „Panorama“-Reihe, deren Thema die 70er Jahre waren) nach Mexiko emigriert, dort gleich bei der Ankunft vom Geheimdienst kassiert und gezwungen wird, als Informant bei einer revolutionären Gruppe zu arbeiten.

Ulrich Noethen spielt diesen Antihelden, von dessen Skrupeln, Fluchtversuchen und schließlich tragischem Ende der Film erzählt. Aber er stellt ihn so blass und passiv da, dass man sich nie wirklich für diese Figur zu interessieren beginnt.

Damit fehlt dem Film der Mittelpunkt, und auch die Dramaturgie ist recht langatmig und uninspiriert – so läuft alles dröge dahin. Auch die schöne Fabiola Campomanes kann als positive Gegenheldin und „love interest“ nicht wirklich überzeugen, und deshalb war „Francisca“ leider einer der wenigen wirklich langweiligen Filme, die ich in diesem Jahr auf der Berlinale gesehen habe.

Wilfried Hippen