bono vox dei von HARTMUT EL KURDI
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Immer wieder wundere ich mich darüber, warum ausgerechnet die Rockmusik, dieses von klerikaler Seite einst als semisatanistisch verschriene Musikgenre, so viele brillante Jesusdarsteller hervorgebracht hat. Meine persönlichen Favoriten: Jim Morrison und Iggy Pop. Beide arbeiteten mit der traditionellen, jedem Ikonographen bestens bekannten Kombination von Langhaar und nacktem Oberkörper. Morrison verpasste sich noch zusätzlich mit Hilfe von Suchtgiften einen pfingstlichen Augenaufschlag, wogegen Pop seinen Leib früher gern mal auf der Bühne in Scherben wälzte und sich damit verflucht nahe an den geschundenen Postkreuzigungskörper des Nazareners heranfolterte. In Deutschland wiederum gelang es Rio Reiser nicht nur mit seinen schon legendären nagelbereiten Barfüßen zu überzeugen, sondern auch durch die Fähigkeit mit Hilfe von Songzeilen wie „Ich bin tausendmal verblutet, und sie ham mich vergessen, ich bin tausendmal verhungert, und sie war‘n voll gefressen“ das Leiden Christi textlich ins linksradikale Milieu des 20. Jahrhunderts zu transformieren.

Aber neben diesen Größen des Rock ‘n‘ Roll gibt es viele Kleindarsteller, die leider keinerlei Gespür für den zurückgenommenen Glamour einer gelungenen Jesus-Personifikation haben. Diese Simpel glauben, sie könnten sich durch pathetisches Gehampel und/oder das Absondern von paramoralischem Sprachkäse für einen Platz zur Rechten John Lennons qualifizieren. So kann man eigentlich nur erschüttert verstummen, wenn zum Beispiel Pur-Sänger Hartmut Engler in der neuen Schalke-Arena im salbungsvollen Pfaffenton über Kindesmissbrauch schwatzt, um dieses „J‘accuse“ in eine Ansage für ein Lied übergehen zu lassen, das an den noch im Bauch seiner Frau befindlichen Engler-Embryo adressiert ist.

Allerdings ist das noch harmlos im Vergleich zu der Geschmacklosigkeit, die sich Bono Vox anlässlich des diesjährigen Superbowls erlaubte. U2, als Pausenclowns zum wohl bedeutendsten Ereignis des amerikanischen Sportjahres eingeladen, präsentierten ihren Oldie „With or without you“. So weit, so öde, hätte im Hintergrund nicht eine zirka 50 Meter hohe Leinwand gestanden, auf der die Namen aller Toten vom 11. September wie auf einem gigantischen Teleprompter abrollten. Davor absolvierte Bono seine übliche wichtigtuerische Rockstar-Aerobic, inklusive messianischem Armausbreiten, Publikumsegnen und Auf-die-Knie-fallen. Als er schließlich am Ende des Liedes seine Lederjacke mit einer ruckartigen Geste einseitig aufriss und damit dem aufgepeitschten Mob gleichzeitig seine zum Speerstich bereite Kreuzigungsflanke wie auch sein im Stars-and-Stripes-Design gehaltenes Jackenfutter präsentierte, dachte ich nur: Jesus Christus, jetzt fährt er gen Himmel! Aber stattdessen stürmte er im Schutze seiner zwölf Leibwächter in die Umkleidekabine. Und an seinem Gang konnte man erkennen, dass der bis unter den Dornenkranz mit Adrenalin voll gepumpte Heiland nur eines im Sinne hatte: sich endlich mal wieder so richtig nageln lassen!