Frau Briese und die Nudeln

■ Nicht nur Durchschnittsgaumen, auch Spitzenköche sind von den feinen Öko-Teigwaren aus der Ottersberger „Nudelei“ überzeugt. Dumm nur: Die Nudelmacherin ist finanziell am Ende. Eine Geschichte von Pech und Hoffnung

Antoinette Briese ist besessen. Besessen von Nudeln. Von Basilikum-, Spinat- und Salbeinudeln, von Shitake- oder Kürbisnudeln. Von Weinnudeln. Von Rote-Beete-Nudeln. Die sind knallepink, und sogar die Elitekicker von Bayern München haben sie bereits gegessen. Antoinette Briese besticht mit ihren Nudeln nicht nur Fußballer- sondern auch die feinsten Gaumen – ein Vier-Sterne-Koch hat ihre Pasta im Repertoire, eine Agentin für 57 Spitzenköche will ihre Produkte vertreiben, und Brieses Weinnudel kommt im Sortiment eines Pfälzer Weinkellers zu höchsten Ehren. Aber es hilft alles nichts: Die 43-Jährige steht kurz vor der Insolvenz.

„Impastatrice“ hinterm Fax

„Nee“, sagt Frau Briese, „ich mach' weiter.“ In Ottersberg im Nordosten Bremens wohnt sie in einem alten Bauernhaus, „über hundert Jahre alt“. Eine enge, schiefe Holztür mit abgeblättertem Lack führt in den großen Wohnraum, wo der Lehm aus den unverputzten Wänden krümelt, eine lila Blume in einer orangen Vase steht und neben der Kanne mit dem grünen Tee das Faxgerät. Dunkel ist es hier. Denn dort, wo das Licht durchs Fenster fällt, da ist Frau Brieses Herz: die Nudelei. Abgetrennt durch Glasscheiben beginnt hinter Fax und Blume ein gefliestes Reich mit stählernen Maschinen, auf denen steht „Impastatrice“ und „Laminatoio“, mit großen Dosen voller Gewürze aus Bioanbau, mit drei Kilo Spinat, der durch ein großes Sieb grüne Wassertropfen in die silberne Spüle fallen lässt.

Frau Briese ist entflammt

„Es ist einfach passiert“, sagt die gebürtige Rheinländerin über ihre Leidenschaft für Teigwerk. Mit dem Studium ist es nichts geworden, weil das letzte Bafög für die häufigen Fahrten zur kranken Mutter draufging. Aber dafür erbt Frau Briese eines Tages 50.000 Mark.

Ihr Vorbild ist das Nudelhaus in Trossingen – eine Teigwaren-Manufaktur im Schwäbischen. Italien hat sie schon immer gemocht, aber erst in Trossingen wusste sie: „Das ist es.“ Pasta nicht industriell, sondern von Hand gemacht und das alles noch aus Ökoanbau – das sollte doch auch im Norden funktionieren, zumal Frau Briese damit Pionierin wäre. „50.000 Mark reichen für den Anfang“, hätten die Nudelhäusler zu ihr gesagt – und sie reichten für einen sehr kleinen Anfang, „gerade mal für die Nudelmaschine.“ Aber Frau Briese ist entflammt. In einem Existenzgründerseminar „haben wir die Idee von oben bis unten durchgekaut“ und alle sind begeistert, erinnert sich die Nudelfrau.

Ein Unternehmensberater erklärt ihr, wie's gehen soll: Antoinette Briese – allein erziehende Mutter von drei Kindern – solle eine Betreuerin für die Kinder einstellen, Räume für ihre Nudelmacherei mieten, einen Fiat Ducato samt Marktwagen kaufen, einen Stand auf dem teuren Hamburger Öko-Markt mieten. Frau Briese tut wie ihr geraten. Und legt los.

38 Gläubiger warten

Dumm nur: Die Finanzierung für ihre Nudelei steht nicht. Bei 15 Banken habe sie angefragt, erzählt sie, alle versagen ihr die günstigen Gründerdarlehen. Es sei ein „Zigeunerleben“, das Frau Briese da plane. Also muss ein konventioneller Kredit mit konventionell hohen Zinsen her. Eine Bremer Finanzberaterin erwägt, ins Briese'sche Geschäft einzusteigen, ebenso ihr Unternehmensberater. Das ist im Jahr 1998. Seit Februar lässt sich Frau Briese einen Stand auf dem begehrten Ökomarkt freihalten, zahlt bereits Miete. Mit ihrem Erbe fährt sie nach Italien und kauft eine Nudelmaschine. Sie nimmt 30.000 Mark auf ihr Bauernhaus auf.

Die ersten drei Monate „liefen gut“, dann zieht die Finanzberaterin zurück, und der Unternehmensberater, erzählt Briese, „hat es nicht geschafft, mit seiner Frau zu reden.“ Derweil türmen sich bei der Nudelfrau die Kosten: Miete für die Räume, Miete für den Marktstand, Gehalt für die Haushaltshilfe. Die Einnahmen reichen nicht. Bevor die Nudelei richtig läuft, ist sie schon tot. Stand und Räume werden gekündigt. 38 Gläubiger – Banken und Lieferanten – warten verzweifelt auf ihr Geld. Frau Briese kapituliert. Ihre Anwältin rät: „Dichtmachen.“ Nein, sagt Frau Briese, „ich mach' weiter.“ Das ist Anfang 1999.

Putzen für die Nudelmacherei

Ihr Freund, den sie in diesen Monaten kennen gelernt hat, sagt: „Warum machst du die Nudeln nicht hier?“ Hier, zu Hause, in dem hundert Jahre alten Haus. Ihr Freund baut den vorderen Teil des Wohnhauses um. Die Anwältin – „Frau Brieses Nudeln sind famos“ – macht den Gläubigern ihre Chancen klar: Entweder sie zwingen die Nudelei zur Insolvenz und bleiben auf ihren Forderungen sitzen. Oder sie harren aus und warten, dass es aufwärts geht und Frau Briese ihre Schulden bezahlen kann. Die Gläubiger geben der Frau eine Chance.

Frau Briese wagt den Neuanfang in ihrem Haus. Eine Verpackungsmaschine muss her. Dafür findet sie Menschen mit Geld. Diese Geldgeber werden mit überschüssigen Nudeln bedient. Aber sie muss warten, das Bauaufsichtsamt muss die heimische Pastaproduktion genehmigen. Das dauert neun Monate – „da habe ich viel Zeit verloren“. Zeit, in der weiter Kosten auflaufen. Antoinette Briese geht putzen, arbeitet im Bioladen, macht Nudelproben und Kontakte.

Ziel: 500 Kilo pro Woche

Auf der Ökologa-Messe in Oldenburg lernt sie einen Traubenkernöl-Produzenten kennen – die Idee für die erlesene Weinnudel aus Traubenkernmehl, -öl und Rotwein entstand: „Rebstock al dente“. Vergangene Wochen waren ihre Nudeln auf der Nürnberger Biofach-Messe zu kosten. Sie hat Anfragen aus Dänemark und England, „sogar aus Italien“, sagt sie, dem Mutterland aller Pasta, und klingt stolz. Ihre Kürbisnudel – Hauptbestandteil: Hokaidokürbis – geht ins Kürbiskernland Österreich. Und gemeinsam mit einem Biobetrieb im niedersächsischen Visbeck stellt sie die Lupinennudel, mit einer Pilzfarm in Helvesiek die Shitake-Nudel her. Die Bremer Kochbuchautorin Birgit Müller will jetzt sogar ein Buch über sie schreiben. Ein paar Spitzenköche gehören zu ihren Abnehmern. Aber es reicht einfach nicht. Frau Briese sagt: noch nicht.

„500 Kilo die Woche müsste ich verkaufen“, sagt sie – 2.000 der kleinen Plastikpäckchen à 250 Gramm pro Woche, die es in wenigen Bio- und Feinkostläden ab zwei Euro aufwärts gibt. Und sie müsste auch getrocknete, nicht nur die relativ kurz haltbaren frischen Nudeln herstellen. Also muss ein Trockenschrank her und ein Kühlraum für die Großproduktion. Das Dilemma des ersten, missglückten Starts scheint sich zu wiederholen: Zum Klotzen fehlt das Geld, und das Kleckern schnürt ihr die Luft ab.

Gesucht: Investoren

„Ich bin vielleicht ein bisschen verrückt“, sagt Antoinette Briese, „das mag wohl sein.“ Wahrscheinlich hat sie bald kein Haus mehr. Den Unternehmensberater, der Frau Briese den überdimensionierten Start eingebrockt hat, hat sie verklagt – es stehe noch Honorar aus. „Dennoch könnte Frau Brieses Vision Wirklichkeit werden“, sagt die Anwältin, „wenn sie einen oder mehrere Investoren findet. Dann gehen auch die Gläubiger nicht leer aus.“ Frau Briese sagt: „Es muss doch irgendwie funktionieren.“

Das duftende Basilikum, der würzige Salbei, der grüne Spinat. Die Maschine, die aus Essenzen und Hartweizengries den warmen Teig hervorbullert und ihn in schmale Streifen schneidet. Antoinette Briese, die vor ihrer Maschine aus Italien sitzt, die Teigstreifen auf Pergament zusammenlegt, Lage für Lage. „Diese Nudeln schmecken nach dem, was drin ist“, sagt Frau Briese, „das ist ihre Chance.“ Sie wird weitermachen. Irgendwie.

Susanne Gieffers