Gleichungen und Ungleichgewicht

Wie das Genie auch den Wahnsinn erfolgreich meistern kann: Ron Howard „A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn“ erzählt erneut eine Erfolgsgeschichte. Immerhin auf dem für das Kino schwierigen Gebiet des abstrakten mathematischen Denkens

von HARALD FRICKE

Die meisten Menschen schätzen die Formeln der Mathematik nicht. Sie schalten bei Differenzialgleichungen ab, obwohl man damit so schön einfach den Anstieg von Kurven bestimmen kann; und sie halten es für eine Qual, wenn man ihnen mit Zirkel und Lineal das Volumen eines schiefen Kegels vorrechnet. An diese Regel hat sich bislang auch Hollywood gehalten: Filme über mathematische Probleme sind Kassengift. Aber was ist, wenn sich die Story nicht allein um Zahlen und geometrische Figuren dreht? Wenn ein berühmter Mathematiker, der von seinen Kollegen stets als wortkarg und gefühlsarm angesehen wird, sich plötzlich als psychisch schwer kranker Mensch entpuppt? Wenn ihm die Formeln zu Kopf steigen und er geheime Botschaften über militärische Aktionen der Sowjets in Zeitschriften vermutet, wo doch nur Werbung für Rasiercreme gemacht wird? Und wenn er nach langen Jahren der Behandlung zwar nie wieder ganz gesundet, aber von seiner tapferen Frau doch sehr geliebt und am Ende mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wird – trotz seiner Halluzinationen? Dann sind auch die Chefs von United International Pictures begeistert, dann werden Regiestars berufen und die bestbezahlten Schauspieler der Welt angeheuert, um in einem monumentalen Epos ihre Stirn in Falten zu legen, weil das zu einem grübelnden Mathematiker dazugehört. Dann ist es Zeit für einen Blockbuster, der für acht Oscars nominiert und mit vier Golden Globes ausgezeichnet wurde; dann ist es Zeit für Russell Crowe, der in Ron Howards „A Beautiful Mind“ den US-amerikanischen Wissenschaftler John Nash zwischen Spieltheorie und Elektroschock verkörpert.

Tatsächlich hat sich Nashs biografisches Drama so zugetragen, wie es Howard in 140 Minuten nacherzählt. Der Regisseur von „Apollo 13“ brauchte dafür nicht einmal groß zu recherchieren, denn mit Sylvia Nasars Buch „A Beautiful Mind“ lag die komplexe Analyse des Falls bereits vor. Im Film mag bei einigen Episoden die Fantasie mit dem Drehbuchautor Akiva Goldsman, der zuvor für das Script zu Batman III und IV zuständig war, dennoch ein wenig durchgegangen sein: Die Schizophrenie bricht ausgerechnet während der Kuba-Krise aus, und Cristopher Plummer als behandelnder Arzt erinnert merklich an den orwellschen Horror aus „1984“. Gleichwohl gibt es keinen Zweifel daran, dass Nash zu Beginn seiner Krankheit fest an eine politische Verschwörung gegen sich glaubte und deshalb nach Europa fliehen wollte.

Gerade weil der Film fast durchgehend auf Fakten beruht, kommt es vor allem auf die schauspielerischen Finessen an, damit das Leben auf der Leinwand nicht bloß dem Text abgeschaut ist. Zunächst fällt es Crowe leicht, stocksteif und mit flunschiger Lippe als junger Student über den Campus zu ziehen und sich das Hirn auf der Suche nach einer originellen These zu zermartern. Dass er dabei allerdings die Blondinen verschmäht, die seine Kommilitonen für ihn in die Bars schleppen, liegt schon weniger auf der Hand – zumal sich Crowes Nash etwas später bei seiner zukünftigen Ehefrau Alicia (Jennifer Connelly) als sexuell total ausgehungert outet. So aber gleicht die Zurückgezogenheit des Forschers der Enthaltsamkeit des Boxers vor dem Fight.

Vielleicht war das auch die Idee von Howard und Crowe. Sie wollten zeigen, wie sehr der Run auf Posten, die Karrieren im Wissenschaftsbetrieb ein gnadenloser Kampf ums Überleben sind – und wie ein Genie auch den Wahnsinn erfolgreich meistern kann. Je mehr dieses Bild im Film aufgebaut wird, desto tiefer gleitet aber dann die Krise des verwirrten Elite-Mathematikers in Rührseligkeit ab. Erst sitzt man noch atemlos im Sessel und staunt darüber, wie sich die Wahrnehmung des rationalen Denkers verwirrt, wie plötzlich selbst der kalte Agent Parcher (Ed Harris) zur Einbildung in Nashs Hirn zusammenschrumpft. Doch dem Schmerz der anschließenden psychiatrischen Behandlung ist Crowe nur bedingt gewachsen. Dann schlägt er lediglich matt die Augen auf und murmelt vage Sätze, in denen er die eigene Verstandeskraft gegen das Delir der Krankheit auf die Probe stellt – und natürlich gewinnt.

Jeder Zweifel, all die Unsicherheit und Gebrochenheit der Existenz scheinen dagegen an Russells kerngesunder Oberfläche abzuprallen. Doch dunkel geschminkte Augenränder machen noch keinen aufrichtig Irren, das weiß man, seit Kirk Douglas Vincent van Gogh war. Forschung und Lehre sind auf diesem Weg ohnehin verloren gegangen. Dabei wäre zumindest eine Frage interessant gewesen: Warum opfert sich eine aufstrebende Studentin wie Alicia Nash bis zum Ende für die Rehabilitation ihres Mannes auf – ohne selbst weiter nach den Lösungen der Mathematik zu suchen? Vielleicht waren die weiblichen Biografien in den Fifties und Sixties so gestrickt. Vielleicht wollte es Hollywood am Ende aber auch doch nicht so genau wissen.

„A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn“. Regie: Ron Howard, mit Russell Crowe, Jennifer Connelly, Ed Harris, u. a., USA 2001, 140 Min.