„Keine Gefahr für irgendjemand!“

Der frühere UN-Waffeninspekteur Scott Ritter sieht keine Bedrohung durch den Irak. Das Land habe keine Massenvernichtungswaffen mehr

taz: In der letzten Zeit gab es in Amerika immer mehr Bedenken wegen möglicher Massenvernichtungswaffen oder Anthrax-Programmen im Irak. Ist der Irak eine Bedrohung für die USA?

Scott Ritter: Nein. Wir sollten uns darüber Sorgen machen, und der beste Weg, diese Sorgen zu beseitigen, ist, die Waffeninspektoren zurück in den Irak zu bekommen, damit sie ihre Arbeit tun können. Aber eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA, die aus einer Erneuerung der Massenvernichtungswaffen resultiert, gibt es absolut nicht.

Der Irak verfügt also nicht über biologische Massenvernichtungswaffen?

Sie verfügen nicht mehr über die Waffenprogramme, die es 1991 im Irak gab, die 1996 von den Waffeninspektoren zerstört wurden und 1998 endgültig als nicht mehr existierend bestätigt wurden. Wenn der Irak etwas wieder aufgebaut hat, seit die Waffeninspektoren 1998 den Irak verließen, wurde es von niemandem herausgefunden. Kein Informationsdienst konnte glaubwürdig belegen, dass der Irak die Waffenprogramme wieder aufbaut. Und das bedeutet: Wenn sie etwas entwickelt haben, dann ist das extrem klein. Das ist hypothetisch, wir wissen nicht einmal, ob sie diesen Weg gegangen sind. Wir wissen, dass wir die Fabriken zerstört haben, und ich sehe den Irak nicht als Bedrohung.

Die Entwaffnung des Irak war allerdings notwendig?

Ja, denn wenn der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügen würde, wäre er eine Bedrohung für die gesamte Welt. Aber wie ich schon sagte: Sie besitzen keine funktionierenden Massenvernichtungswaffen, sie können weder Nachbarstaaten, noch Europa, Asien, die USA oder irgendjemand anders bedrohen, es gibt keine Gefahr.

Aber Ihr Team konnte den Irak nie vollständig entwaffnen.

Das ist richtig, wir haben es nie geschafft, den Irak vollkommen zu entmilitarisieren. Wir erreichten ein Level von 90 bis 95 Prozent Abrüstung, was bedeutet, das der Irak 5 bis 10 Prozent der verbotenen Waffen behalten hat. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man den Abfall von alten Waffen besitzt oder tatsächlich funktionierende Programme erhält. Machen wir einen Vergleich: Angenommen, wir verbieten Autos und ihre Herstellung. Wir zerstören die Fabriken und die gesamte Produktionsfähigkeit, wir vernichten fast jedes Auto, das es gibt, und alle Autowerkstätten und Parkplätze. Aber der Irak behält illegal 100 Autos. Also suchen wir nach diesen Autos. Wir sind ziemlich gut und können 50 dieser Autos vernichten, aber der Irak hat noch immer 50 Autos. Jetzt finden wir die Reifen dieser Autos und dann die Türen. Wir finden alles außer den Kühlern, den Stoßstangen und den Blinkern. Hat der Irak alle Autos aufgegeben? Die Antwort ist nein. Sie haben noch Kühler, Stoßstangen und Blinker. Hat der Irak funktionierende Autos? Nein. So ist es auch mit den Massenvernichtungswaffen.

Nun ist es aber weit über drei Jahre her, dass der letzte UN-Waffeninspekteur auf irakischem Boden war. Ist es denn nicht möglich, dass der Irak in diesem Zeitraum neue Waffen entwickelt hat?

Benutzen wir noch einmal den Autovergleich: Der Irak hat also noch Kühler, Stoßstangen und Blinker, die Fabriken haben wir aber zerstört. Können sie ein Auto aus einem Kühler, der Stoßstange und den Blinkern wachsen lassen? Nein. Sie müssen Fabriken bauen, sie brauchen die Ausrüstung zur Herstellung. Woher können sie das bekommen? Das ist nicht möglich! Und jeder, der etwas von Massenvernichtungswaffen versteht, weiß, dass es albern ist, zu denken, der Irak habe diese Fähigkeit in nur drei Jahren wieder aufgebaut. Es würde zehn Jahre dauern und Milliarden von Dollar verbrauchen. Es ist absolut absurd, wenn man sagt: „Aber wir wissen nicht, was im Irak passiert.“ Ja, es ist richtig, wir wissen nicht, was passiert. Aber wir wissen, was man benötigt, um Massenvernichtungswaffen anzufertigen. Und der Irak hat diese Fähigkeit nicht.

Und das bedeutet, dass er keine Gefahr für Amerika ist?

Keine Gefahr für irgendjemand!

INTERVIEW: BENJAMIN MERGELSBERG